Die Nacht der Uebergaenge
sondern menschlich. Niemand trank
einfach so das Blut eines anderen. Schon gar nicht das eines vollkommen
Fremden. Aber es war niemand sonst da, der ihr mit anderen Mitteln, die es
sowieso nicht gab, helfen konnte, ohne sie wieder zu verschrecken und
mittlerweile hatte Romy so viel erlebt, dass sie sich garantiert nicht lange
wehren würde.
Romy starrte die junge Frau an, als hätte sie den Verstand
verloren, als sie von ihrem Blut sprach, das eine Wirkung in ihrem Körper
tun sollte. Und dann sagte sie es! Sie sollte von ihr trinken. Alles in ihr
schrie sofort laut und deutlich: NEIN!
Der Anblick des frischen Blutes, das aus der Wunde in der Handinnenfläche
quoll, hatte denselben Effekt auf sie wie das von Catalina vorhin. Gott stehe mir bei!
Es war ein Reflex, so zu denken, aber sie kam sich gleich wie ein Versager vor,
weil ihre Mutter ihren Gott vorgeschoben hatte, um sie dann noch schamloser im
Stich zu lassen. Selbstmord war schließlich die größte Sünde, die man als
gläubiger Christ begehen konnte.
„Ich kann das nicht… Ich kann das einfach nicht!“, gab Romy
mit einem Aufschluchzen zu und schämte sich für ihre Schwäche, die jetzt im
entscheidenden Moment größer denn je war.
Es war eine Sache, sich das von dem Mann anzuhören, den man nach langer Zeit
als einzigen begehrte, aber von einer Wildfremden? Sie konnte nichts gegen den
Ekel tun, der ihr in der Kehle aufstieg und sie schwindeln ließ, auch wenn das
Blut nicht abstoßend roch, im Gegenteil.
… wie der beste Wein, den du je getrunken hast… Oder so ähnlich hatte es Rys beschrieben.
Aber sie hatte Alkohol schon immer abstoßend gefunden. Das Blut hier duftete
verlockend und verheißungsvoll und trotzdem konnte sie sich nicht überwinden.
„Es ist gar nicht so schrecklich, Romy!“, flüsterte Nico
leise an ihrem Ohr und gab ihr weiterhin Halt, auch wenn das Mädchen sonst eher
den Eindruck erweckte, als würde sie von einem Windhauch zu Fall gebracht
werden können.
„Es ist wie eine Bluttransfusion, verstehst du? Eine Medizin! Es wird keine
Umwandlung nach sich ziehen, weil der Spender eine Frau ist… Gott, es riecht so
gut, nicht wahr? Das hätte ich niemals geglaubt! Ich wollte es lange nicht
wahrhaben. Weißt du… Mélusina, mein Schutzgeist, hat damals das Leben meiner
Mutter gerettet… Sonst wäre ich gar nicht auf die Welt gekommen. Sie überlebte
lange genug, bis ich geboren wurde, aber das Blut von Mélusina reichte nicht
viel länger. Sie hätte von einem männlichen Immaculate trinken müssen, aber
weil sie meinen Vater zu sehr geliebt hat, konnte sie es nicht über sich
bringen… Soll ich vielleicht zuerst? Damit du siehst, das es keine schlimmen
Auswirkungen hat? Es fühlt sich anscheinend wie ein Kribbeln an… Genaues weiß
ich natürlich nicht, ich höre es ja nur immer aus zweiter Hand!“
Nico tauschte einen viel sagenden Blick mit der Tri’Ora aus,
den Romy nicht bemerkte, weil Nico ja hinter ihr kniete. Sie wusste genau, dass
es dann kein Zurück mehr gab, wenn sie (im wahrsten Sinne des Wortes) einmal
Blut geleckt hatte. Aber wenn es für Romy leichter wurde, dann würde sie dieses
Opfer gerne bringen. Bei ihr ging es ja noch nicht um Leben und Tod.
Romy wischte sich die Tränen von den Wangen und drückte kurz
Nicos schmale Hand, die noch auf ihrer Schulter ruhte und wandte sich dann
wieder an Awendela Draco.
„Es wäre mir lieber, wenn Sie mich Romy nennen würden, falls das irgendwie mit
Ihrem Status vereinbar ist… Ich kann mich einfach nicht an diesen Titel
gewöhnen. Jedenfalls, wenn wir unter uns sind? Cat denkt bestimmt genau wie
ich… Das ist alles viel zu neu, einfach zu viel, um alles zu verarbeiten… Ich
würde mich am liebsten wie meine Schwester verhalten, aber leider bin ich dafür
schon zu alt…“
Die Zweifel, die Romy bei Wendys Angebot überkamen, waren für
alle Beteiligten weder überraschend noch unvorhersehbar gewesen. Niemand machte
ihr deswegen einen Vorwurf. Im Gegenteil, Wendy bemühte sich um einen besonders
mitfühlenden Ausdruck in ihrem vielleicht abschreckenden Gesicht und war sehr
dankbar, das Nico sie mit einfühlsamen, erklärenden Worten unterstützte. Das
wäre ein sehr großes Opfer von dem Mädchen, wenn es zuerst trinken würde. Bei
ihr zwar noch nicht so dringlich, doch auch in ihr wäre der Blutdurst geweckt,
wenn sie erst einmal davon gekostet hatte.
„Romy?! Das ist ein schöner Name. Es spricht sicher nichts dagegen, wenn ich
Euch so
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