Die Nacht der Uebergaenge
schämte sie sie
sich. Wie konnte ihr etwas anderes wichtiger sein als ihre Schwester?
Romy nahm die Phiole aus seiner Hand und hielt sie vorsichtig zwischen den
Finger ihrer rechten Hand, als hätte sie Angst, sie zu zerbrechen, dabei wollte
sie sie am liebsten weit von sich werfen und alles hinter sich lassen. Wäre
Bekky gegangen, hätte sie das nun auch getan. Das hier war nicht ihre Welt und
würde es niemals sein. Catalina hatte noch ein weiteres Jahr ausgehalten,
vielleicht würde sie das auch.
Romys Miene
war wie versteinert und ihre Lippen fühlten sich taub an, sie konnte sich kaum
dazu bringen, ein paar Worte zu sagen.
“Es gibt nichts zu verzeihen, Krieger. Du hast mit dieser Geste genug Abbitte
geleistet“, sprach sie mit eine kühl kontrollierten Stimme, die in ihren
eigenen Ohren falsch klang.
Der Inhalt der Phiole blitzte bedrohlich im Mondlicht auf und Romys Finger
zitterten, so dass sie die Hand schon senken wollte, doch sie konnte sich nicht
dazu bringen, bis sie verstand, dass jemand anderes die Kontrolle über ihre
Gliedmaßen übernommen hatte. Sie konnte sich nicht mehr vom Fleck rühren.
Das gläserne
Gefäß zerbarst vor ihren Augen in tausend Stücke und kleine Glassplitter flogen
durch die Luft wie scharfe Geschosse, die Romy an der Unterlippe trafen und sie
blutig schnitten. Sie war jedoch viel zugeschockt, um zu reagieren. Sie stieß
erst einen spitzen Schrei aus, als Rys plötzlich von unsichtbarer Hand auf die
Knie gezwungen wurde. Sie wäre zurückgetaumelt, wenn sie nicht etwas oder
jemand daran gehindert hätte.
„WIE KANNST
DU ES WAGEN, KRIEGER?!“, erschallte die kalte Stimme des Orakels, das sich
plötzlich vor ihnen materialisierte.
Es erinnerte nichts mehr an die elegante Dame mit dem bodenlangen schwarzen
Abendkleid von Balenciaga, die ihr vorhin noch wie die Güte in Person
vorgekommen war. Ihre Augen glühten so stark, dass sie ihr Gesicht in rötliches
Licht tauchten. Ihre Fangzähne waren komplett ausgefahren und sie schien bereit
zum Sprung auf den Mann zu sein, der hilflos vor ihr auf allen Vieren auf dem
Boden kauerte.
Noch ehe die
wütende Stimme des Orakels verklungen und ein Splitter der Phiole in die empfindliche
Haut seiner Wange eingedrungen war, wusste Chryses, was ihm blühte. Der Schmerz
in seinen Haaren und an seiner Kehle waren nichts im Vergleich zu dem, was sich
lindwurmartig wie glühendheißer Stacheldraht unsichtbar einen Weg durch
sämtliche Körperöffnungen suchte und ihn auf die Knie zwang. Er würde nicht
schreien und er würde sich mit keiner Silbe zu dieser Schwäche bekennen, die er
empfand. Niemals hätte er davon ausgehen dürfen, dass er mit seinem Vergehen
ungestraft davon kommen würde.
Romy schrie, doch er schöpfte keinerlei Genugtuung daraus, dass ihr etwas an
seinem armseligen Leben lag. Er hatte ihr tatsächlich nichts Böses gewollt,
jedoch einen Vorteil aus ihrer Unerfahrenheit gezogen. Wären ihr die Regeln der
Immaculates bereits bekannt, hätte sie ihn wahrscheinlich selbst bestraft und
er hätte es verdient. Ihr Mitleid dagegen verdiente er nicht.
Er sah dem Tod, den er nicht fürchtete, jedoch mit geschlossenen Augen
entgegen. Das Orakel hatte sich seines Verstandes bemächtigt und wütete darin
wie ein wildes Tier. Das Silbergrau hinter den geschlossenen Lidern war
verschwunden und einem glühenden Rot gewichen, das nicht von Rys, sondern von
Salama selbst hervorgerufen wurde, die in keinster Weise einen solchen Affront
duldete. Sie gab ihm deutlich zu verstehen, dass sie nichts von ihm hielt, wenn
er sich so selbstsüchtig benahm und jederzeit ersetzt werden konnte. Sein
Status als Krieger zählte nicht.
Im Gegenteil, es machte die Sache für ihn nur noch schlimmer, denn er hätte es
besser wissen müssen als jeder andere, der hier an seiner Statt auf dem harten
Stein des Terrassenbodens hätte knien können.
Imogen hatte ihn eindeutig davor gewarnt, die Phiole zu früh hervorzuholen. Sie
hatte ihm gesagt, er dürfe der Devena nur im Falle eines weiteren Zögerns oder
bei Gefahr ihres Lebens diesen ungeheuren Vorschlag unterbreiten. Sie hatte ihm
diesen Trank nur bereitet, weil sie davon ausgegangen war und ihm geglaubt
hatte, Romana Kiss würde Chryses Harper und jeden anderen Mann im Grunde
verabscheuen, seine Berührungen hassen und sich ihm keinesfalls ohne
Hilfsmittel hingeben. Da Ketten dieser zarten Seele laut Chryses noch viel mehr
schaden würden, waren Drogen eben die einzige Möglichkeit.
Oh ja, für seine gut
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