Die Nacht der Wölfe
drauf.«
Auch auf dem Fluss zeigte sich, was für eine gute und bedachte Musherin aus Dolly geworden war. Sie war schon nach relativ kurzer Zeit mit den Huskys vertraut und führte sie geschickt um alle auftauchenden Hindernisse herum. Die Kufen des Schlittens schienen den Boden kaum zu berühren, so gleichmäßig und ruhig lenkte sie das Gespann. Sie hielt sich im Schatten der Uferböschung, um schlechter gesehen zu werden, falls Frank Whittler tatsächlich irgendwo lauerte, und ihre entschlossene Haltung verriet die Bereitschaft, jederzeit sofort zu halten und vom Schlitten zu springen, falls sich der Verbrecher zeigte oder ein Schuss die Stille zerriss. Ihre Jackentasche war offen, sodass sie jederzeit ihren Revolver griffbereit hatte. Ein quälender Gedanke, der auch ihr etwas zu schaffen machte.
Sie kamen gut voran. Die Wolken, die den Sturm gebracht hatte, waren hinter den Bergen im Südosten verschwunden und von einer dünnen Wolkendecke abgelöst worden, aber das Eis war hell genug und der Trail deutlich zu erkennen. Wenn sie hielten, dann nur, um den Huskys eine kurze Verschnaufpause zu gönnen. Nur einmal hielt Dolly an, weil sie eine Bewegung am anderen Ufer ausgemacht hatte, aber es war ein Elch, der aus dem Wäldchen am anderen Flussufer getreten war und gleich wieder verschwand. Der Wind war jetzt in ihrem Rücken und trieb sie noch schneller über das Eis.
Am frühen Nachmittag tauschten sie die Plätze. Clarissa stieg wieder aufs Trittbrett und gab Emmett mit ein paar Zurufen zu verstehen, dass sie das Kommando übernommen hatte. »Hey, Emmett! Kennst du mich noch? Nur keine Müdigkeit vortäuschen, wir haben noch einen weiten Weg vor uns! Heya! Heya! Lauft, ihr Lieben!« Ein Kommando, das sich die Huskys nicht zwei Mal sagen ließen. Sie legten sich in die Geschirre und zogen den Schlitten an, fielen schon nach wenigen Schritten in den gewohnten Rhythmus, der es ihnen erlaubte, auch lange Touren durchzuhalten. Um einen Husky erschöpft im Schnee liegen zu sehen, musste schon viel passieren. »So ist es gut, Emmett! Ihr seid gut in Form! Wenn ihr so weitermacht, schaffen wir beim Frontier Race einen der ersten Plätze! Nur weiter so, Emmett, lauft!«
Auch Clarissa behielt ihre Umgebung im Auge, unterstützt von Dolly, die viel zu aufgeregt war, um auf dem Schlitten einzunicken, und aus eigener Erfahrung wusste, wie gefährlich eine solche Fahrt werden konnte, selbst wenn sich kein gefährlicher Verbrecher in der Gegend herumtrieb. Der Hohe Norden war voller Überraschungen, in guter wie in schlechter Hinsicht, und schon ein Elch, der zufällig ihren Trail kreuzte, konnte zum Risiko werden.
Der helle Streifen, der um die Mittagszeit den Horizont erhellt hatte, war bereits wieder verblasst, und ein fast vollkommen dunkler Himmel wölbte sich über dem Yukon River, als sie an eine weite Biegung kamen und Clarissa mit einem unterdrückten »Whoaa!« den Schlitten anhielt. Ihre Huskys verstanden die Warnung und blieben ruhig, wagten nicht einmal, sich zu bewegen. Nur der Wind war zu hören, und das Knirschen des Eises, das auf strengere Kälte reagierte. Dreißig Grad unter Null, schätzte Clarissa, eine erträgliche Temperatur, wenn man so wie sie und Dolly angezogen war, und nur gefährlich, wenn stürmischer Wind dazukam und unter die Kleidung kroch.
Clarissa legte rasch einen Finger auf ihren Mund, als Dolly sich fragend nach ihr umdrehte. Die gelben Wolfsaugen, die zwischen den Bäumen am anderen Ufer aufleuchteten, erkannte anscheinend nur sie. Sie bewegten sich kaum und strahlten auch keine Boshaftigkeit oder Gefahr aus, leuchteten eher wie Wegweiser, die ihr bestätigten, dass sie den richtigen Trail genommen hatte. Sie wartete darauf, dass Bones sich zeigte, aber er blieb diesmal unsichtbar, wollte ihr wohl auch zeigen, dass das Rudel, das er um sich geschart hatte, immer noch bei ihm war. Sie war ihm dankbar dafür, schon lange fragte sie sich nicht mehr, ob es den Wolf tatsächlich gab oder ob sie ihn sich nur einbildete. Die meisten Indianer hatten einen Schutzgeist, ein Tier, das sie beschützte und ihnen Mut zusprach, auch wenn sie von einem Pfarrer getauft waren und dem Geisterglauben längst abgeschworen hatten. Gab es nicht auch Weiße, die auf eine innere Stimme hörten oder sich auf einen Talismann verließen, »heidnischen Kram«, wie die Pfarrer behaupteten? Hier in der Wildnis hatte sie gelernt, dass es viele Dinge zwischen Himmel und Erde gab, die man sich nicht erklären
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