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Die Nacht der Wölfe

Die Nacht der Wölfe

Titel: Die Nacht der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Ross
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es auch nachts leicht, sich zu orientieren, das Eis reflektierte so viel Licht, dass der zugefrorene Fluss wie eine breite Straße vor ihnen lag. Dennoch mussten sie aufpassen. Der Wind, der stets über den Fluss blies, hatte an vielen Stellen das Eis aufgeworfen und Hindernisse geschaffen, die man in Ufernähe, wo es dunkler und schattiger war, oft erst im letzten Augenblick sah. Nicht überall konnte man sich auf den Instinkt der Huskys verlassen. Clarissa stand auf dem Trittbrett, auch weil sie die Gegend besser kannte und so vertraut mit den Hunden war, dass sie das leiseste Zögern bei ihnen bemerkte und noch schneller reagieren konnte. Emmett war die Strecke noch nie gelaufen, hielt sich aber wacker und stellte wieder einmal seine große Klasse unter Beweis.
    Die dunklen Wolken, die am vergangenen Nachmittag aufgezogen waren, hingen bereits über dem Fluss. Von Norden her schoben sie sich über die verschneiten Sumpfebenen, die sich jetzt zu beiden Seiten des Flusses ausdehnten, und brachten stärkeren Wind und wirbelnden Schnee mit. Schon bald war das Schneetreiben so stark, dass die Huskys von selbst langsamer wurden und das jenseitige Ufer nur noch schattenhaft zu erkennen war. Mit dem Schnee kamen winzige Eiskristalle, die empfindlich auf der Haut brannten.
    Clarissa klappte den Kragen ihres Anoraks hoch und zog den Schal bis über die Nase. Die Augen kniff sie bis auf einen schmalen Spalt zusammen. Sie hörte Dolly laut auf das lästige Wetter schimpfen und antwortete mit einem Fluch, der eine der reichen Ladys, bei denen sie als Haushälterin gearbeitet hatte, erblassen und in Ohnmacht hätte fallen lassen. Immer heftiger peitschte ihnen der Schnee ins Gesicht, begleitet von eisigem Wind, der es darauf angelegt zu haben schien, bis auf ihre nackte Haut durchzudringen.
    Eine Weile war sie gezwungen, unterhalb des steilen Ufers auf dem Flusseis zu bleiben, dann wurde das Ufer endlich flacher, und es gelang ihr, den Schlitten über die Böschung zu steuern. »Zu den Bäumen, Emmett!«, trieb sie ihren Leithund an und war nicht mal sicher, ob er sie bei dem lauten Heulen des Windes auch hörte. »Siehst du das Wäldchen da hinten? Da sind wir einigermaßen vor diesem Sauwetter sicher. Halt dich ran, Emmett, wir frieren!«
    Emmett gab sein Bestes, und sie hielten schon wenige Minuten später zwischen den Bäumen. Die Schwarzfichten waren niedriger als am Chena River, beugten sich hier bereits vor der Kälte, boten aber genügend Schutz für sie und die Hunde. Sie sprang vom Trittbrett, verankerte den Schlitten und sicherte ihn zusätzlich mit einer Leine, die sie um einen der schlankeren Baumstämme band. »Wir sind gleich wieder zurück, Emmett! Das Unwetter dauert nicht lange. Eine Stunde vielleicht. Macht es euch gemütlich!«
    Den Huskys machte es tatsächlich nichts aus, so nahe am Waldrand zu rasten und den Wind und die Flocken ins Gesicht zu bekommen, im Gegenteil, das arktische Wetter gefiel ihnen und gehörte zu ihrer Welt. Ihre Körper waren durchtrainiert, und das dicke Fell schützte sie gegen die eisigen Temperaturen. Sie konnten sich wahrscheinlich nichts Schöneres vorstellen, als bei diesem Wetter im Schnee zu liegen. Wenn man einen Husky vor die Wahl stellte, im warmen Haus oder draußen im Schnee zu übernachten, würde er immer den Schnee wählen. Huskys mochten den Winter.
    Auch Clarissa und Dolly hatten sich längst an die arktischen Temperaturen und das manchmal sehr unfreundliche Wetter in Alaska gewöhnt, zogen es aber vor, noch tiefer in den Wald vorzudringen. Ungefähr hundert Schritte vom Waldrand entfernt waren sie einigermaßen vor dem Schneesturm sicher. Sie blieben erschöpft zwischen den Bäumen stehen, wischten sich den Schnee von der Kleidung und teilten sich den lauwarmen Tee, den sie vom Schlitten mitgenommen hatten. Vor dem Schnee waren sie einigermaßen sicher, aber der Wind rauschte in den Baumkronen und drang bis zu ihnen herunter, zwang sie, auch im Schutz der Bäume den Schal nach oben zu ziehen.
    »Manchmal frage ich mich, was ich in diesem verdammten Land suche«, sagte Dolly. »Hier hab ich meinen Mann verloren, an jeder Ecke könnte ein wütender Grizzly oder ein Wolf lauern, und das Wetter ist die meiste Zeit so schlecht, dass man ständig in dicken Wollhosen und Pelzjacken rumlaufen muss. Warum bin ich nicht nach Kalifornien gegangen? Oder nach Florida? Da soll immer die Sonne scheinen. Selbst in England scheint öfter die Sonne, und das will was wirklich

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