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Die Nacht der Wölfe

Die Nacht der Wölfe

Titel: Die Nacht der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Ross
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Blockhaus, sie lag in einem Blockhaus. Immer noch ein wenig benommen, drehte sie den Kopf und sah eine Frau am Tisch sitzen und einen Mokassin besticken. Eine Indianerin … Rose. Und der Mann, der zur Tür hereinkam und einen Schwall kalte Luft mitbrachte, war John. Läuft-in-den-Wolken hatte sich der Indianer genannt.
    Allmählich dämmerte ihr, was geschehen war und wo sie sich befand. Sie wollte sich aufsetzen, merkte aber, dass es noch nicht ganz gelang, und sank leise stöhnend auf die Decken zurück. Sie sah, wie die Indianerin sich erhob.
    »Clarissa!«, freute sich Rose. »Ich hoffe, es geht dir besser.«
    »Viel besser … vielen Dank! Wie lange hab ich geschlafen?«
    Die Indianerin lächelte. »Den ganzen Tag und die ganze Nacht.«
    »Wie bitte?« Clarissa konnte es nicht fassen. »Zwanzig Stunden?«
    »So würde es ein Weißer ausdrücken. Und du hast diese Ruhe dringend gebraucht. Schlaf ist die beste Medizin. Nur wer seinem Körper die Zeit gibt, sich zu erholen, darf auf Besserung hoffen. Das vergessen viele Menschen.«
    »Wie geht es meinen Hunden?«
    »Den Hunden geht es gut«, sagte John. Er hatte frisches Brennholz hereingebracht und fütterte den Ofen mit einigen Scheiten. »Ich habe ihnen getrockneten Lachs mit Reis gegeben, das füttere ich meinen Hunden immer.«
    »Ihre Lieblingsspeise«, freute sich Clarissa.
    Rose legte ihre Handarbeit zur Seite und ging zum Ofen, der gleichzeitig als Herd diente, obwohl auf der Platte kaum Platz für einen Topf war. »Du hast sicher Hunger«, sagte sie. Ohne Clarissas Antwort abzuwarten, füllte sie einen Teller mit Wildbrühe und brachte ihn ihr. »Mit Fleisch und Wurzeln.«
    Die Brühe duftete verlockend und schmeckte sehr würzig. »Vielen Dank für alles, was ihr für mich getan habt«, sagte sie nach dem ersten Bissen. »Ohne eure Hilfe wäre es mir und den Hunden schlecht ergangen.« Sie hatte den Teller auf ihren Schoß gestellt, um ihren verletzten Arm nicht bewegen zu müssen, und löffelte im Sitzen. »Ihr wohnt sehr einsam hier draußen. Noch weiter von der Stadt entfernt als die meisten anderen Indianer. Darf ich fragen, warum ihr nicht in einem Dorf wohnt? Ich dachte, gerade wenn es kalt wird, leben Indianer gern mit ihren Verwandten und Freunden zusammen.«
    »Wir haben keine Verwandten und Freunde mehr«, antwortete John. Er stellte den leeren Eimer neben den Ofen und zog seinen Anorak aus. Seine Stimme klang bitter. »Unsere Kinder und Enkel leben im Süden und versuchen, zu Weißen zu werden, obwohl sie doch wissen müssten, dass man seine Hautfarbe nicht abwaschen kann. Sie schämen sich, Indianer zu sein, und sagen, in den Dörfern gäbe es keine Zukunft für sie. Vielleicht stimmt das sogar, aber wir könnten uns nie an diesen Gedanken gewöhnen. Die meisten unserer anderen Verwandten und Freunde sind tot. Sie starben an einer Krankheit des weißen Mannes, gegen die es kein Gegenmittel gab. So wie gegen das scharfe Wasser, das ihr Alkohol nennt. Meine beiden Brüder tranken so viel, dass sie daran zugrundegingen. Uns blieb nur die Flucht in die Berge.«
    »Ihr flieht vor den Weißen?«
    John setzte sich an den Tisch und nickte dankbar, als seine Frau ihm ebenfalls einen Teller mit Wildbrühe brachte. »Nicht alles, was die Weißen uns gebracht haben, ist schlecht. Würden wir sonst in einem Blockhaus wohnen? Hätten wir einen Ofen, der die Wärme hält? Hätte ich ein Gewehr, das mir die Jagd erleichtert? Wir fliehen vor den vielen Menschen, die wegen des Goldes kommen und unsere Mutter Erde aufreißen und verletzen. Wir fliehen vor den Verlockungen und den Krankheiten, die sie uns bringen und gegen die es kaum ein Gegenmittel gibt. Wir fliehen vor den Missionaren, die uns unseren Glauben nehmen und uns weismachen wollen, dass nur ihr Gott die Wahrheit kennt. Wir haben nichts gegen den Gott der Weißen, und wir schätzen vieles von dem, was uns die Missionare erzählt haben, aber wir lassen uns auch unseren Glauben nicht verbieten. Oder ist es falsch, die Natur zu ehren? Die Tiere, die Pflanzen, selbst die Steine am Wegesrand? Sollen wir uns verdammen lassen, weil wir nicht in die Kirche gehen und lieber unter freiem Himmel zu unserem Schöpfer beten? Ist Gott denn nicht überall zu Hause?«
    Clarissa verstand den Indianer. Alex und sie empfanden ähnlich und waren nicht nur in die Wildnis des Hohen Nordens gezogen, um Frank Whittler aus dem Weg zu gehen. Sie flohen vor den vielen Menschen und dem Lärm in den Städten, sie fühlten eine

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