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Die Nacht der Wölfe

Die Nacht der Wölfe

Titel: Die Nacht der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Ross
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sie.
    »Läuft-in-den-Wolken«, antwortete er und fügte die indianische Version seines Namens hinzu. »Zu kompliziert für Weiße … Sie nennen mich John.«
    »John … ich bin Clarissa. Clarissa Carmack.«
    »Ich habe von einem Fallensteller gehört, der so heißt.«
    »Ich bin seine Frau … Ich … ich bin verletzt.«
    John nickte aufmunternd. »Ich weiß. Ich bringe Sie in unsere Hütte, nicht weit von hier. Rose … meine Frau … wird Sie verarzten. Sie ist Medizinfrau und kennt sich mit Kräutern aus. In ein paar Tagen sind Sie wieder gesund.«
    »In ein paar Tagen?«, erschrak sie. »Aber ich muss weiter …«
    »So kommen Sie nicht weit. Sie müssen gesund werden.«
    »Alex … mein Mann!«, flüsterte sie.
    »Was ist mit ihm?«
    »Er ist verschwunden … Er war … bei dem … Aufgebot, das … Frank Whittler …« Ihre Kräfte verließen sie bereits wieder. »Sie … müssen mir … helfen …« Ihr fielen die Augen zu, und sie spürte plötzlich weder Schmerz noch Kälte. Stattdessen wirbelten bedrohliche Bilder durch ihren Kopf. Alex, wie er schwer verletzt im Schnee lag und um Hilfe rief … Frank Whittler und seine Männer, wie sie lachend durch die Wälder ritten … der fauchende Grizzly, wie er ihr bedrohlich nahe kam … sie selbst, mit dem Schlitten über dem Abgrund.
    Lediglich im Unterbewusstsein spürte sie, wie der Indianer sie mit Lederschnüren an den Schlitten band und einige Worte in seiner Sprache sagte, bevor er aufs Trittbrett stieg und seine Huskys antrieb. Er ermahnte sie, langsam zu laufen, weil sie verletzt auf der Ladefläche schlief, aber auch wegen Emmett und ihrer eigenen Hunde, die ihnen mit dem zweiten Schlitten folgten.
    In ihren Träumen dauerte die Fahrt eine halbe Ewigkeit, in Wirklichkeit war sie eine knappe Stunde. Der Indianer folgte dem Jagdtrail, über den Clarissa gekommen war, weiter nach Norden, fuhr durch einen ausgedehnten Wald in die Ausläufer der White Mountains hinein und lenkte den Schlitten auf den zugefrorenen Beaver Creek, der eine breite Schneise in die Berge schlug und sich erst weit im Nordosten zwischen den Felsen verlor. Nach ungefähr einer Meile bog er in ein verstecktes Seitental ab, das auf den ersten Blick wie eine Einbuchtung in den Felsen anmutete, sich dahinter aber zu einer Senke öffnete, die windgeschützt zwischen steil aufragenden Bergen lag.
    Clarissa bekam von der Fahrt kaum etwas mit, sie öffnete zwar manchmal die Augen und sah den dunklen Himmel über sich, schloss sie aber jedes Mal gleich wieder und versank in tiefen Schlaf. John war ein erfahrener Musher und lenkte den Schlitten so geschickt, dass sie die Erschütterung, wenn sie über eine Bodenwelle fuhren, kaum wahrnahm. Der Schmerz in ihrem linken Arm ließ wieder etwas nach, auch weil der Indianer sie mit Lederstricken an den Schlitten gebunden hatte und sie ihn kaum bewegen konnte. Die albtraumhaften Bilder verblassten zusehends. Obwohl sie den alten Indianer noch niemals gesehen hatte, spürte sie, dass sie bei ihm in guten Händen war.
    Dass sie in ihrer Benommenheit dennoch nicht lächelte, lag an der Sorge um Alex, die sich immer tiefer in ihre Gedanken fraß. Der Gedanke, ihn für immer verlieren zu können, ließ sie so laut und verzweifelt stöhnen, dass sich John besorgt nach ihr umdrehte. »Wir sind gleich zu Hause«, tröstete er sie in der Annahme, ihre Schmerzen hätten zugenommen. »Sie werden wieder gesund, weiße Frau. Haben Sie keine Angst, die Geister sind auf Ihrer Seite.«

12
    Die Blockhütte des Indianers lag oberhalb des Baches dicht vor einer Felswand und wirkte genauso stabil wie die Hütte, in der Clarissa und Alex wohnten. Die Wände bestanden aus festen Stämmen, das Dach war mit Birkenrinde und Moos bedeckt. Das einzige Fenster war hell erleuchtet. Ein dreibeiniger Husky, der neben dem Haus an einen Strick gebunden war, begrüßte die beiden Gespanne, die vor der Tür hielten, mit durchdringendem Geheul.
    Clarissa erwachte aus ihrer Bewusstlosigkeit und öffnete die Augen. Sie lächelte dankbar, als der Indianer sie losband, und wollte selbst aufstehen, war aber noch viel zu benommen und fiel sofort wieder zurück. Der Schmerz, der im gleichen Augenblick durch ihren Körper fuhr, ließ sie leise aufstöhnen.
    »Sie sind noch zu schwach«, sagte John ruhig. »Sie brauchen Ruhe.« Er hob sie vom Schlitten und trug sie zur Tür, nickte dankbar, als seine Frau ihm öffnete, und trug sie zu einem Nachtlager aus mehreren Fellen. Er nahm ihr die

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