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Die Nacht der Wölfe

Die Nacht der Wölfe

Titel: Die Nacht der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Ross
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Angst vor der Eule widerstehen kann, ist es der Wolf«, sagte John, als er ihr das Amulett um den Hals legte. »Der Wolf ist das Wappentier unseres Clans, und ich spüre, dass auch du ihn zu deinen Freunden zählst.« Inzwischen war auch er zur vertrauten Anrede übergegangen. »Er wird dich vor der Eule beschützen.«
    Clarissa nahm an, dass sie im Schlaf gesprochen hatte, denn wie hätte er sonst von ihrer Vertrautheit mit einem Wolf wissen können? Sie berührte das Amulett und spürte die geheimnisvolle Wärme, die von dem winzigen Wolf ausging. »Ich danke euch«, sagte sie. »Ihr habt mir das Leben gerettet. Ich werde euch nicht vergessen. Ich hoffe, wir sehen uns irgendwann wieder.«
    Emmett ließ seiner Freude freien Lauf, als sie ihn begrüßte, sprang mehrmals an ihr hoch und konnte gar nicht genug von ihren Liebkosungen bekommen. Erst nach einer ganzen Weile schien er sich daran zu erinnern, als Leithund eine gewisse Würde ausstrahlen zu müssen, und bezähmte seine Begeisterung. Auch die anderen Hunde waren froh, sie wieder zu sehen, und ließen sich bereitwillig vor den Schlitten spannen. Clarissa winkte dem Indianer und seiner Frau ein letztes Mal zu und trieb die Hunde ans Ufer des Baches.
    Ihr Lächeln gefror, sobald sie aus dem Blickfeld der beiden verschwunden war. Mit dem eisigen Wind, der ihr an diesem Morgen entgegenblies, wuchs auch die Erkenntnis, dass ihr Mann spurlos verschwunden war und vielleicht sogar einen einsamen Tod gefunden hatte. Sie glaubte nicht an den Hokuspokus, den manche Medizinmänner besonders bei der Krankenheilung veranstalteten, tat aber auch nicht alles als Aberglauben ab und glaubte dem alten Indianer, wenn er den Ruf der Eule für ein böses Omen hielt. Auf der Flucht vor Frank Whittler hatte sie längere Zeit in einem Indianerdorf gelebt und lachte nicht mehr wie die meisten anderen Weißen, wenn ein erfahrener Jäger vorgab, etwas sehen zu können, was andere nicht sahen. Wer so eng mit der Natur verbunden war wie die Indianer, erlebte vieles anders und bewusster und hatte vielleicht auch einen engeren Kontakt zu den übernatürlichen Kräften. Es gab mehr zwischen Himmel und Erde, als sich viele Menschen eingestehen wollten, und sie empfand großen Respekt vor Propheten und Sehern.
    Sie glaubte dem alten Indianer. Wenn er sagte, dass Alex nicht in den Bergen war, brauchte sie dort nicht zu suchen. Natürlich hatte John nicht jedes Versteck in den White Mountains abgesucht, dazu war dieses Gebiet viel zu groß und zu unübersichtlich, doch er hatte recht, es gab auch andere Anzeichen dafür, dass sich ein Mann in den Bergen aufhielt. Der Laut eines Tieres, den nur ein erfahrener Jäger hörte. Der Rauch eines fernen Feuers, den nur ein Indianer, der jahrelang durch die Wildnis gestreift war, wahrnehmen konnte.
    Aber wo war er dann? War er schon früher vom Schlitten gefallen und in einen Abgrund oder einen Felsspalt gefallen, ohne eine Spur zu hinterlassen? Hatten ihn die Verbrecher getötet und im Schnee verscharrt? Irrte er sterbend durch eine Gegend, in der ihn niemand vermutete? Der Ruf der Eule ließ nichts Gutes ahnen und hallte unheilvoll in ihren Ohren nach, während sie den Schlitten aus dem versteckten Tal lenkte und über die Uferböschung auf das feste Eis des Beaver Creeks fuhr. Dunkle Wolken bedeckten den Himmel und ließen nur vereinzelte Sterne sehen. Ihr Licht spiegelte sich auf dem zugefrorenen Fluss und ließ das schroffe Eis geheimnisvoll schimmern.
    Clarissa feuerte die Hunde kaum an. Sie überließ es Emmett, das Tempo zu bestimmen, verharrte nachdenklich auf dem Trittbrett, beide Unterarme auf die Haltestange gestützt, und hing ihren trüben Gedanken nach.
    Die Erinnerung an den furchtbaren Augenblick vor etwas mehr als drei Jahren, als sie einen Stiefel ihres Mannes an der Küste gefunden und jeder an einen Selbstmord geglaubt hatte, kam zurück, die monatelange Ungewissheit, als Alex auf einem Frachter nach China unterwegs gewesen war und wie ein Sklave für den englischen Kapitän gearbeitet hatte.
    Damals hatte sie sich mit jeder Faser ihres Körpers dagegen gewehrt, an den Tod ihres Mannes zu glauben, und seine wundersame Rückkehr hatte ihr recht gegeben. Durfte sie auch diesmal wieder hoffen? War ihre Liebe stärker als der Tod? Würden ihr Glaube und das Amulett, das ihr der Indianer geschenkt hatte, die Eule aus den nahen Wäldern vertreiben? Sollte sie mit der Ungewissheit zurückfahren, vielleicht niemals zu erfahren, was mit Alex

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