Die Nacht der Wölfe
du mich zu irgendwas überreden? Wenn ja, machst du es genau richtig. Rühreier mit Speck … genau darauf hatte ich gerade Hunger.«
Sie aßen eine Weile schweigend, spülten das würzige Rührei mit Tee hinunter und erfreuten sich an der Gegenwart der anderen. Obwohl sie nur selten voneinander gehört hatten, war ihre Freundschaft niemals eingeschlafen, und sowohl Clarissa als auch Dolly hatten immer gewusst oder geahnt, dass sie sich irgendwann einmal wiedersehen würden. Jetzt war es endlich so weit.
Erst nachdem sie aufgegessen hatten, hob Dolly den Kopf und sagte: »In der Stadt haben sie mir erzählt, was mit deinem Mann passiert ist. Eine Schande, dass ihn dieser Whittler und seine Komplizen umgebracht haben. Alex war ein guter Mann … so wie mein Luke. Du musst jetzt stark sein …«
»So was Ähnliches hab ich zu dir auch gesagt, als wir deinen Mann gefunden hatten. Weißt du noch?« Sie blickte Dolly an und lächelte beinahe.
»Und es hat etwas genützt.« Dollys Stimme klang fest und zuversichtlich. »Sieh mich an! Sehe ich etwa wie eine verhärmte Witwe aus? Ich habe mich nicht unterkriegen lassen und immer daran gedacht, was wohl Luke im Himmel von mir denken würde, wenn ich mich gehen lasse. Nein, meine Liebe, nicht nur die Iren sind hart im Nehmen, auch wir Engländer können einiges einstecken. Und du kannst das auch. Oder willst du etwa klein beigeben?«
»Nie im Leben«, antwortete Clarissa, »nie im Leben!«
21
»Und das ist Rusty, mein Leithund«, sagte Dolly, als sie draußen bei den Hunden waren. Sie klopfte dem Husky freundschaftlich auf den Rücken. »Ein Prachtkerl, nicht wahr? Man könnte fast meinen, er hätte irisches Blut in den Adern, aber der Indianer, der ihn mir verkauft hat, behauptet steif und fest, er wäre ein waschechter Russe.« Sie lachte. »Ich hätte ihn Iwan nennen sollen.«
Wie Clarissa fütterte auch Dolly ihren Leithund zuerst. Rusty war etwas älter als Emmett, aber genauso kräftig und hatte dunkelblaue, fast grüne Augen. Er knurrte ein wenig, als Clarissa ihm zu nahe kam, und gab erst Ruhe, als Dolly ihm ins Gewissen redete. »Bei Weißen braucht er eine Weile, er hat lange unter Indianern gelebt. Sogar mich knurrt er manchmal an.« Sie stellte ihm das Futter hin, füllte seinen Wassernapf und beobachtete zufrieden, wie er sich darüber hermachte. »Und Hunger und Durst hat er für drei.«
»Bist du oft mit den Hunden unterwegs?«
»Du meinst, ob ich mit einem Gespann umgehen kann? Besser als die meisten Männer! Wäre ich ein Mann, hätten mich die Mounties längst eingestellt.« Ihre fröhliche Miene tat auch Clarissa gut. »In Dawson gab es genug erfahrene Musher, die sich bei einer attraktiven Witwe wie mir einschmeicheln wollten.« Sie lachte über ihren Scherz. »Nicht, dass ich bereit gewesen wäre, einen von ihnen zu heiraten, aber ein Kuss auf die Wange und ein ordentliches Abendessen in Aunt Millie’s Roadhouse taten es auch.« Sie beugte sich erneut zu ihrem Leithund hinunter und streichelte ihn. »Seitdem drehe ich jeden Tag eine Runde mit meinen Hunden. Und sie gehorchen mir aufs Wort. Nicht übel für eine einfache Frau aus dem alten England, was?
»Und vor drei Jahren konntest du einen Husky nicht von einem Elch unterscheiden. Dein Luther wäre sicher stolz auf dich, wenn er noch am Leben wäre. Und eine erfolgreiche Geschäftsfrau bist du obendrein. Das ist mehr, als ich von mir sagen kann. Sind alle Engländerinnen so hart im Nehmen?«
Dolly grinste in sich hinein. »Nur die im Norden … aus Manchester und Liverpool, da sind sie nicht so verzogen wie die feinen Herrschaften in London. Oder meinst du, sonst hätte ich einen Iren geheiratet? Wenn er bei mir geblieben wäre, hätte ich wahrscheinlich jetzt schon graue Haare.« Sie blickte scheinbar entrüstet zum Himmel. »Und sag jetzt nicht, eine Engländerin könnte doch froh sein, wenn ihr ein irischer Prachtjunge den Ring ansteckt!«
»Und du meinst, er hört dich da oben?«
»Das will ich doch meinen!«
Clarissa seufzte. »Ich muss mich wohl auch langsam daran gewöhnen, so mit Alex zu sprechen.« Sie half Dolly vom Boden hoch. »Wusstest du, dass die Indianer glauben, die Seelen der Toten wären im Nordlicht zu Hause?«
»Dann kommt nur das knallrote Licht für Luther infrage.«
»Knallrot … wie sein Haar?«
»Wie das Haar aller irischen Hitzköpfe!« Sie griff nach den leeren Eimern und ging zur Tür. Dort blieb sie noch mal stehen. »Weißt du was? Manchmal überlege
Weitere Kostenlose Bücher