Die Nacht der Wölfe
Bergen strahlte das Nordlicht am Himmel, als sie durch einen lichten Wald fuhr und sich auf dem Trittbrett ausruhte. Ein Gruß ihres Mannes, der sie auch im Jenseits nicht vergessen konnte. »Alex!«, rief sie. »Ich werde dich immer lieben! Und ich werde immer deinen Namen flüstern, wenn ich das Nordlicht am Himmel sehe! Ich werde dich niemals vergessen!«
Nach dem heftigen Schneetreiben, das sie in den Bergen erlebt hatte, kam ihr der Himmel unnatürlich klar vor. Die Wolken hatten sich verzogen. Eiskalter Wind bewegte die kahlen Äste der Laubbäume und wehte den Schnee durch die Luft, ließ Emmett unwillig schnauben, als er das kühle Nass in den Augen spürte. Der Trail war eben und leicht zu befahren. Fast lautlos glitten die Kufen über den feinen Neuschnee, der am späten Morgen am Chena River gefallen war. Nach dem anstrengenden Ausflug in die Berge eine willkommene Gelegenheit für Clarissa, mit beiden Armen auf der Haltestange zu lehnen, sich von den Strapazen auszuruhen und ihren Gedanken nachzuhängen, auch wenn die Trauer über Alex’ Tod alles andere überschattete.
»Dolly wartet auf uns!«, rief sie den Hunden zu. »Erinnert ihr euch noch an sie? Die Engländerin. Vielleicht bleibt sie ein paar Tage bei uns, und wir können was zusammen unternehmen.« Ihr fiel ein, dass nur Chilco, Waco und Rick in ihrem Gespann gewesen waren, als sie die Engländerin in Dawson City wiedergetroffen hatte. »Sie hat mir damals sehr geholfen, müsst ihr wissen.«
Clarissa hatte oft an ihre Freundin gedacht, aber nie die Zeit gefunden, sie in ihrem Roadhouse in Dawson zu besuchen. Vor zwei Jahren hatte sie ihr einen Brief geschrieben, aber nie eine Antwort bekommen. Dennoch war sie mit ihrem Lachen und ihrer forschen Art immer in ihren Gedanken gewesen. Dolly hatte ihr damals gezeigt, wie man den Schmerz und das scheinbar unendliche Leid, das einen nach dem Tod des geliebten Mannes heimsuchte, erfolgreich bekämpfte und am Ende sogar überwand, ohne dass man das Andenken an ihn beschädigte oder ihn vergaß. Mit unbändigem Willen, den man ihr gar nicht zugetraut hätte, und einer Energie, die nur eine Frau aufbringen konnte, die schon einige Schicksalsschläge überwunden hatte, war sie das Leben angegangen, hatte das Roadhouse von einer alten Dame übernommen, die sich zur Ruhe setzen wollte, und in der harten Arbeit und im Umgang mit ihren Gästen eine neue Aufgabe gefunden. Ihr Optimismus blieb ungebrochen, auch dann noch, wenn andere Frauen längst verzweifelten oder sich eine schwere Niederlage eingestanden.
Als Clarissa zur Blockhütte hinauffuhr, stand Dolly vor der Tür und blickte ihr erwartungsvoll entgegen. Das Jaulen der Huskys musste ihr verraten haben, dass sich ein Schlitten näherte. »Dolly!«, rief Clarissa schon von Weitem. »Mensch, Dolly! Du bist es wirklich!« Sie sprang noch im Fahren vom Trittbrett, rannte die letzten Schritte und fiel ihrer Freundin in die Arme.
»Clarissa!« Die Engländerin war ein paar Jahre jünger und fünf oder sechs Pfund schwerer, eine Frau, nach der sich alle Männer umdrehten, weil ihre Harre so blond und ihre Augen so blau waren und sie so unwiderstehlich lachen konnte. Mit diesem Lachen begrüßte sie sie auch jetzt. »Clarissa! Ich dachte, ich schaue mal dir vorbei und sehe nach dem Rechten. Wie lange ist das jetzt her, verdammt?«
»Drei Jahre, Dolly. Und es ist viel passiert seitdem.« Clarissa löste sich von ihr und deutete auf die Huskys der Engländerin, die bei ihrer Ankunft aufgeregt hochgesprungen waren und sich mit Clarissas Hunden anzulegen schienen. Emmett wies sie in ihre Schranken. »Die sind ja noch wilder als du«, sagte sie. »Hätte ich mir ja denken können, dass du dir keine Schoßhündchen zugelegt hast.« Sie kraulte Emmett zwischen den Ohren und befreite ihre Hunde von den Geschirren. »Wie ich dich kenne, brennt das Feuer schon, und du hast frischen Tee auf dem Ofen stehen. Wie wär’s, wenn du schon mal einschenkst, und ich kümmere mich inzwischen um die Hunde?«
Dolly hatte nicht nur das Feuer im Ofen angefacht und Tee aufgesetzt. Sie hatte auch frische Eier aus Dawson City mitgebracht und servierte Rühreier mit Speck: ein Festessen, das sich Clarissa vor vielen Wochen zum letzten Mal gegönnt hatte. Frische Eier gab es höchst selten in Fairbanks, meist nur im Sommer, wenn die Dampfer zur Stadt durchkamen. »Wow!«, staunte Clarissa, als sie ihren Anorak auszog und Mütze, Schal und Handschuhe auf einen Stuhl legte. »Willst
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