Die Nacht der Wölfin
ausgegangen war. Er versuchte zu erklären, was er getan hatte, warum er es getan hatte. Er entschuldigte sich. Er flehte mich an, dem Mann zu gehorchen, damit ich aus dem Käfig gelassen würde. Er wollte, dass ich mit dem Mann sprach, ihn bat, seine Verbannung rückgängig zu machen, damit er zurückkommen und mir helfen konnte. Aber es gab nur eine Art, wie er mir hätte helfen können. Jedes Mal, wenn er kam, jedes Mal, wenn er schwor, er würde alles tun, um es wieder gutzumachen, sagte ich ihm das Gleiche. Die einzigen Worte, die ich überhaupt zu ihm sagte. Bring es in Ordnung. Mach rückgängig, was du mir angetan hast.
»Clay.«
Der Klang meiner eigenen Stimme riss mich aus meinen Erinnerungen. Ich lag auf dem Rücken und starrte zu der nackten Glühbirne an der weiß gekalkten Zementdecke hinauf. Ich drehte den Kopf und sah massive Steinwände. Kein Fenster. Kein Dekor. Unter mir spürte ich die kratzige Doppelmatratze. Der Käfig.
»Nein«, flüsterte ich. »Nein.«
Ich drehte den Kopf und sah die Gitterstäbe. Auf der anderen Seite saß jemand auf einem Stuhl. Mein Herz machte einen Sprung. Dann stand die Gestalt auf, und die schwarzen Augen richteten sich auf mich.
»Nein«, flüsterte ich wieder, während ich mich aufsetzte. »Geh zur Hölle. Nein.«
»Ich musste es tun, Elena«, sagte Jeremy. »Ich hatte Angst, du würdest dich verletzen. Aber wenn du dich jetzt besser fühlst –«
Ich warf mich gegen die Stäbe. Jeremy trat zurück, aus meiner Reichweite, vorsichtig, aber nicht überrascht.
»Lass mich hier raus!«, schrie ich.
»Elena, wenn du –«
»Du verstehst nicht!«
»Doch, ich verstehe. Daniel hat Clay. Er hat ihn in Toronto aufgespürt. Er wollte, dass du heute Vormittag um zehn zu ihm ins Hotel kommst. Du hast auf dem Rückweg im Schlaf geredet.«
»Du –« Ich brach ab und schluckte. »Du weißt das?«
»Ja, ich –«
»Du weißt das, und du hältst mich hier drin fest? Wie konntest du?!« Ich packte die Stäbe und zerrte. »Du hast gewusst, dass Clays Leben in Gefahr ist, und du steckst mich hier rein!«
»Was glaubst du denn, was Daniel vorgehabt hat, Elena? Dich nehmen und Clay gehen lassen? Natürlich nicht. Wenn du hingegangen wärst, hätten wir euch beide verloren.«
»Das ist mir egal!«
Jeremy rieb sich mit einer Hand über das Gesicht. »Es ist dir nicht egal, Elena. Du bist einfach zu aufgeregt, um logisch zu denken.«
»Logisch? Logisch? Bist du wirklich so kaltschnäuzig? Du hast ihn aufgezogen. Du bedeutest ihm mehr als die ganze Welt. Er hat sein ganzes Leben damit verbracht, dich zu schützen. Er hat sein Leben dafür riskiert, er riskiert es dauernd für dich. Und du setzt dich hin, denkst logisch über die Situation nach und beschließt dann, dass es das Risiko nicht wert ist, ihn zu retten?«
»Elena –«
»Wenn er tot ist, dann ist es deine Schuld.«
»Elena!«
»Es ist meine Schuld. Wenn er tot ist, weil ich nicht rechtzeitig hingegangen bin –«
Jeremy packte mich durch die Stäbe hindurch am Arm; die Finger gruben sich mir ins Fleisch. »Hör auf damit, Elena! Er ist nicht tot. Ich weiß, dass du verstört bist, aber wenn du dich beruhigt hast –«
»Beruhigt hast? Willst du damit sagen, dass ich hysterisch bin?«
»– dich beruhigt hast und es dir überlegst, wirst du wissen, dass Clay nicht tot ist. Denk doch nach. Daniel weiß, wie wichtig Clayton für das Rudel ist. Für dich. Für mich. Er ist viel zu wertvoll als Geisel.«
»Aber Daniel weiß nicht, warum ich nicht gekommen bin. Vielleicht glaubt er jetzt, es ist uns egal, wir haben Clay abgeschrieben –«
»Das weiß er besser. Und um sicherzugehen, habe ich ihm eine Nachricht geschickt. Letzte Woche hat er mir ein Postfach genannt, über das er zu erreichen ist. Antonio und Nick haben dort einen Brief hinterlegt, in dem steht, dass wir dir nicht erlauben werden, zu diesem Treffen zu gehen, dass ich aber bereit bin zu verhandeln, solange Clay keinen Schaden nimmt. Ich bin sicher, dass Daniel das auch vorher schon wusste, aber ich wollte es klarstellen. Ich gehe bei Clays Leben kein Risiko ein, Elena.«
Auf irgendeiner Ebene wusste ich, dass Jeremy Recht hatte. Es tröstete mich nicht. Ich wurde den Gedanken nicht los: Und was ist, wenn er sich irrt? Was, wenn Clay nie lebend im Staat New York angekommen war? Was, wenn er aufgewacht war und sie gekämpft hatten und er jetzt in einem Müllcontainer irgendwo in Toronto lag? Was, wenn Daniel der Versuchung nicht hatte widerstehen
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