Die Nacht der Wölfin
geschlafen noch geduscht. Winzige Linien waren rings um seine Augen und seinen Mund erschienen. Er sah beinahe so alt aus, wie er war.
»Wo ist der Brief?«, fragte ich freundlicher, als ich vorgehabt hatte. »Daniel muss doch einen Brief mitgeschickt haben. Kann ich ihn sehen?«
»Er schreibt, dass sie Clay haben, was ziemlich offensichtlich ist, und dass er nicht gerade in Bestform ist, aber am Leben – was ebenfalls offensichtlich ist. Wenn du dir den Hintergrund des Fotos genauer ansiehst, siehst du eine Zeitung an der Wand hängen. Es ist die New York Times von heute, wahrscheinlich als Beweis dafür, dass das Foto heute gemacht wurde.«
»Was will Daniel?«
»Clay ist nicht unmittelbar in Gefahr.«
»Hast du vor, mir auf irgendeine meiner Fragen eine direkte Antwort zu geben?«
»Ich habe eine Nachricht zurückgeschickt. Ich will jeden Tag ein Bild sehen, während wir verhandeln.«
Ich verzog das Gesicht, stapfte ans andere Ende des Käfigs und erinnerte mich dann daran, dass ich nett und einsichtig sein musste. Ein weiterer Wutanfall würde mich mit Sicherheit nicht schneller hier herausbringen.
»Ich weiß, dass ich gestern völlig durchgedreht bin«, sagte ich. »Aber jetzt geht's mir gut. Ich würde gern helfen. Darf ich raus hier?«
»Iss dein Mittagessen. Ich komme in einer Weile wieder und sehe nach, ob du noch Hunger hast.«
Jeremy schob das Tablett durch einen Spalt und ging wieder hinauf. Ich biss mich auf die Zunge, um ihm nichts nachzurufen, das mir später Leid tun würde … jedenfalls so lange, bis er außer Hörweite war.
Pläne
Später am Nachmittag ließ Jeremy mich frei. Wir waren noch nicht ganz die Treppe hinauf, als ich ihn nach seinen Plänen fragte. Er ließ mich bis nach dem Abendessen warten; wahrscheinlich wollte er ausprobieren, wie lang er mich auf die Folter spannen konnte, bis mir der Geduldsfaden riss. Ich gebe zu, beim Essen war ich kurz davor, aber ich brachte es fertig, mich zusammenzunehmen. Während Antonio und Nick den Tisch abräumten, nahm Jeremy mich mit ins Arbeitszimmer. Die gekürzte und bereinigte Version unserer einstündigen Unterredung lautete, dass Jeremy einen Plan hatte, um Clay zurückzuholen, und dass ich weder etwas darüber erfahren würde noch bei der Ausführung helfen durfte. Wie zu erwarten war, nahm ich die Mitteilung mit Verständnis und Einsicht auf.
»Das ist die dümmste Idee, die ich je gehört habe«, fauchte ich ungefähr zum zwölften Mal in dieser Stunde. »Ich bleibe doch nicht einfach hier sitzen und tue gar nichts!«
»Würdest du lieber im Käfig sitzen und nichts tun?«
»Droh mir nicht.«
»Dann droh du mir nicht.«
Etwas in Jeremys Stimme veranlasste mich, den Mund zuzuklappen und mich aufs Auf- und Abrennen zu verlegen.
»Ich könnte helfen«, sagte ich, wobei ich die Stimme leise und, wie ich hoffte, auch ruhig hielt. »Bitte, Jer, schließ mich nicht aus. Vielleicht machst du mich verantwortlich für das, was in Toronto passiert ist, aber bestraf mich nicht auf diese Art.«
»Du hast in Toronto nichts falsch gemacht. Wenn es irgendjemandes Schuld ist, dann ist es meine. Ich habe geglaubt, in Toronto würdet ihr sicher sein. Ich habe erst am Dienstagmorgen überhaupt gemerkt, dass Daniel fort war, und zu diesem Zeitpunkt war er schon dort. Ich sage dir deshalb nicht, wie ich Clay zurückholen werde, weil du dann helfen willst, und wenn ich es nicht erlaube, wirst du es auf eigene Faust trotzdem versuchen.«
»Aber –«
Er beugte sich vor. »Ich will ehrlich mit dir sein, Elena. So ehrlich, wie ich es keinem anderen gegenüber wagen würde. Es fällt alles auseinander. Ich war auf eine solche Situation einfach nicht vorbereitet. Wenn ich in all den Jahren bisher ein guter Alpha war, dann lag es daran, dass ich nie auf die Probe gestellt wurde. Nicht so, wie jetzt. Ich habe vorsichtig angefangen, vorgefühlt, Informationen gesammelt, und Peter und Logan sind umgekommen. Ich habe das Vorgehen geändert und mir Jimmy Koenig vorgenommen. Du bist beinahe umgekommen. Ich habe euch beide an einen Ort geschickt, von dem ich geglaubt habe, dass ihr dort sicher sein würdet. Keine Woche später hat Daniel euch gefunden. Und jetzt hat er Clay.«
»Aber –«
Jeremy lächelte zu mir herunter, ein schiefes kleines Lächeln, und strich mir eine Haarsträhne von der Schulter. »Es tut mir Leid, Liebes. Es tut mir wirklich Leid. Aber es geht nicht anders.«
Bevor ich antworten konnte, war er gegangen.
Trotz Jeremys
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