Die Nacht der Wölfin
Fälle geschlossen worden, kein ungewöhnliches Vorkommnis nach jahrelangen Etatkürzungen im Gesundheitswesen. Philip war ins Toronto East General gebracht worden und war nach wie vor dort. Ich sprach mit der Dienst habenden Schwester auf seinem Stockwerk, wobei ich mich als Philips Schwester vorstellte, und erfuhr, dass er innere Verletzungen gehabt hatte und operiert worden war, inzwischen aber auf dem Weg der Besserung sei und am Montag entlassen werden würde. Das bedeutete, dass es ihm nächsten Mittwoch oder Donnerstag besser gehen würde – Etatkürzungen zum Zweiten. Sie bot mir an, mich zu ihm durchzustellen, aber ich lehnte mit der Begründung ab, ich wolle ihn lieber ausruhen lassen. In Wirklichkeit war es Feigheit – ich wollte nicht mit ihm sprechen. Selbst wenn er mir verzieh, dass ich ihn einfach zurückgelassen hatte, gab es da noch das kleine Problem, dass ich vor seinen Augen zum Wolf geworden war. Ich begnügte mich damit, ihm Blumen zu schicken und dazu eine Karte, auf der ich versprach, ihn bald zu besuchen – wobei ich nur hoffen konnte, dass die Mitteilung ihn nicht gleich zurück auf die Intensivstation bringen würde.
Als Nächstes rief ich beim örtlichen Real Estate Office an. Nein, nicht weil ich demnächst umzuziehen plante oder eine Bleibe brauchte. Ein verlockender Gedanke, aber ich wusste genau, dass ich nicht weit kommen würde. Wenn Jeremy mich sogar auf einem Feld irgendwo im Staat New York hatte auftreiben können – und er weigerte sich nach wie vor, mir zu verraten, wie er das fertig gebracht hatte –, konnte er mich fraglos auch finden, wenn ich irgendwo in Bear Valley unterkam – entweder bevor oder nachdem die Mutts mich fanden. Keine der beiden Möglichkeiten sagte mir zu; ich war schließlich nicht lebensmüde. Ich rief das Real Estate Office an, um mich darüber zu informieren, was in den letzten Wochen an Häusern verkauft oder vermietet worden war – vor allem an Häusern auf dem Land. Und ich erfuhr, dass in letzter Zeit im Bear Valley District nur drei Häuser den Besitzer gewechselt hatten; zwei davon waren an junge Familien gegangen und das Dritte an ein Paar im Rentenalter. Neuvermietungen gab es mehr, aber die Mieter waren in jedem Fall Leute, die seit langem in Bear Valley lebten.
Als ich bei den Wohnhäusern erfolglos blieb, begann ich mich nach neu vermieteten Ferienhäusern zu erkundigen. Der Nachteil dabei war, dass wir in einer ausgesprochenen Ferienhausgegend lebten. Der Vorteil war, dass die Saison gerade erst angefangen hatte und dass die Ferienhausdichte gerade in der näheren Umgebung von Bear Valley geringer war als andernorts – es gab zu viele Bäume hier und nicht genug Seen und Wasserläufe. Ich rief bei der Bear Valley Cottage Association an. Mit etwas Einfallsreichtum, einer Menge Lügen und noch mehr guten Manieren – Jeremy hatte mir einiges beigebracht – fand ich heraus, dass in der Umgebung zurzeit nur vier Ferienhäuser vermietet waren, drei an Paare auf der Hochzeitsreise und das Vierte an eine Gruppe von New Yorker Herren in mittleren Jahren, die jeden Mai kamen, um einen rituell-therapeutischen Männerurlaub in der Wildnis zu absolvieren. Wieder nichts. Ich musste es mit einer anderen Methode versuchen; ich war mir nur nicht sicher, wie die aussehen sollte.
Immerhin erreichte ich mit meinen Aktivitäten, dass die Stunden vorbeiflogen und mir wenig Zeit blieb, über Clays Lage nachzugrübeln. Erst am Abend war ich wieder allein mit meinen Gedanken. Ich hütete das Feuer im Arbeitszimmer. Es brauchte nicht gehütet zu werden. Es hätte nicht einmal angezündet werden müssen, denn die Temperatur draußen lag nach wie vor über zwanzig Grad Celsius. Aber es war tröstlich, vor dem Kamin zu sitzen, in den Scheiten herumzustochern und zuzusehen, wie die Flammen tanzten und sprühten. Unnötiges Tun war besser, als gar nichts zu tun. Außerdem hatte es eine hypnotische Wirkung, in die Flammen zu starren; es gab mir etwas, auf das ich mich konzentrieren konnte – etwas jenseits der Gedanken und Befürchtungen, die ständig an den Barrieren vorbeischlüpften, die ich im Verlauf der letzten vierundzwanzig Stunden so sorgfältig errichtet hatte.
Ich war nicht allein im Arbeitszimmer. Nick war ebenfalls da – er lag auf dem Sofa und döste. Von Zeit zu Zeit öffnete er die Augen und sagte etwas. Dann sprachen wir ein paar Minuten lang miteinander, so lang, bis die Unterhaltung gefährlich nahe an Clay herankam und wir beide
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