Die Nacht der Wölfin
vorübergegangen, unbeeinträchtigt von dem Bedürfnis zurückzukehren. Weihnachten war anders. Weihnachten gehörte Clay.
Als Kind und Teenager hatte ich Weihnachten gehasst. Von allen Festen verklärte kein anderes die Familie so gründlich wie dieses. All diese Filme und Fernsehsondersendungen und Zeitschriftentitelseiten, die glückliche Familien bei den saisontypischen Tätigkeiten zeigten. Damit will ich nicht sagen, dass mir das übliche weihnachtliche Drumrum versagt geblieben war. Meine Pflegefamilien waren ja keine kompletten Ungeheuer. Ich bekam Geschenke, und es gab Truthahn zum Abendessen. Ich ging zu Kinderfesten und in die Mitternachtsmesse. Ich durfte auf dem Knie des Weihnachtsmannes sitzen und lernte für das Schulkonzert Weihnachtslieder. Aber ohne echte Familienbande waren all diese Rituale so künstlich wie Schnee aus der Sprühdose. Und so hatte ich, als ich mit achtzehn Jahren auszog, aufgehört Weihnachten zu feiern. Dann lernte ich Clay kennen. Damals, in unserem ersten gemeinsamen Jahr, hatte ich endlich das Gefühl gehabt, dass ein echtes Weihnachtsfest möglich war. Natürlich war ich nicht von Eltern und Großeltern und Onkeln und Tanten umgeben, aber ich hatte jemanden. Ich hatte das erste Bindeglied zu allem anderen, das ich mir so sehnlich wünschte.
Ich sollte erwähnen, dass Clay keine blasse Ahnung hatte, wie man Weihnachten feiert. Weihnachten ist kein offizieller Werwolffeiertag. Okay, es gibt keine offiziellen Werwolffeiertage, aber das meine ich damit nicht. Für das Rudel ist Weihnachten einfach nur ein weiterer Anlass, sich zu treffen, so, wie man es ohnehin zigmal im Jahr tut. Man tauscht Geschenke aus, wie es auch an Geburtstagen üblich ist, aber damit beginnen und enden die Festivitäten. Was also tat Clay, als ich durchblicken ließ, dass ich mir ein Weihnachten mit allen Schikanen wünschte? Er verschaffte mir eins.
Ich wusste es damals nicht, aber Clay hatte wochenlang recherchiert. Und dann organisierte er ein Weihnachtsfest mit allem Drum und Dran. Wir gingen los und fällten einen Baum – und dann stellten wir fest, wie vollkommen unmöglich es sein würde, den Baum auf Clays Motorrad bis zu seiner Wohnung zu transportieren. Also ließen wir ihn anliefern und schmückten ihn. Wir buken verschiedene Sorten Kekse und Lebkuchen und stellten dabei fest, wie schwierig es ist, Lebkuchenmänner zu formen, wenn man kein Teigrädchen hat. Wir machten einen Früchtekuchen, der vermutlich immer noch auf dem Balkon von Clays alter Wohnung steht; wir hatten ihn letzten Endes dazu verwendet, die Balkontür offen zu halten. Wir kauften Lämpchen für den Balkon; dann mussten wir noch einmal zum Haushaltswarenladen zurückfahren, um ein Verlängerungskabel zu kaufen; dann mussten wir noch einmal zum Haushaltswarenladen zurückfahren, um eine Drahtschere zu kaufen, mit der wir ein Loch in das Fliegengitter schnitten, durch das wir das Verlängerungskabel ziehen konnten. Wir spielten Weihnachtsmusik, sahen uns How the Grinch Stole Christmas an und besorgten aus der Videothek It's a Wonderful Life , wobei Clay bei Letzterem einschlief – ja, ich gebe es zu, wir schliefen beide ein. Wir saßen am Kaminfeuer und tranken Eierpunsch – oder jedenfalls saßen wir vor dem Bild eines Kaminfeuers, das Clay aus einer Zeitschrift ausgeschnitten und an die Wand geklebt hatte. Keine Tradition, die wir nicht gewissenhaft befolgt hätten. Es war das perfekte Weihnachten. Bis Ostern hatten wir nicht überdauert.
Im Jahr darauf hatte es kein Weihnachten gegeben. Ich gehe davon aus, dass Weihnachten in der Außenwelt durchaus stattfand, aber in Stonehaven ging es unbemerkt vorüber. Ich hatte es bis zum Winter kaum aus dem Käfig geschafft. Clay war immer noch in der Verbannung. Logan kam mich besuchen, aber ich vertrieb ihn, wie ich ihn auch bei dem halben Dutzend früherer Besuche vertrieben hatte. Nick schickte mir ein Geschenk. Ich warf es ungeöffnet fort. Bevor Clay mich gebissen hatte, hatte ich sowohl Logan als auch Nick kennen gelernt, hatte sogar begonnen, sie als Freunde zu betrachten. Danach nahm ich ihnen übel, dass sie mich nicht gewarnt hatten. Und so kam und ging Weihnachten, und ich nahm es kaum zur Kenntnis.
Im Jahr darauf war Clay immer noch im Exil. Ich dagegen hatte mich inzwischen weitgehend erholt. Ich hatte Logan und Nick und sogar Jeremy verziehen. Ich begann Antonio und Peter kennen zu lernen. Ich war auf dem besten Weg dazu, das Leben als Werwolf zu akzeptieren. Dann
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