Die Nacht der Wölfin
nicht. Sieh mal, ich habe das schon mit Jeremy durchgesprochen. Wir müssen Clay zurückholen. Wir brauchen ihn. Ob du dabei helfen willst oder nicht, ist deine Entscheidung.«
»Ich will dabei helfen, ihn zurückzuholen, aber ich helfe dir nicht dabei, dich bei dem Versuch umbringen zu lassen.«
»Was soll denn das heißen?«
»Genau das, was ich sage. Ich hab gesehen, was vor ein paar Tagen mit dir los war –«
»Das ist es also? Weil ich vor drei Tagen total ausgerastet bin? Sieh mich an. Sehe ich ausgerastet aus?«
»Nein, und ich glaube, das macht mir mehr Angst, als wenn du's tätest.«
»Ich gehe«, sagte ich.
»Nicht ohne mich.«
»In Ordnung.«
»Aber ich gehe nicht. Du also auch nicht.«
Ich stand auf und machte mich auf den Weg zur Hintertür. Nick sprang auf die Füße und versperrte mir den Weg.
»Was machst du jetzt?«, fragte ich. »Schlägst mich zusammen und sperrst mich in den Käfig?«
Er wandte den Blick ab, bewegte sich aber nicht von der Stelle. Ich wusste, er würde nichts tun. Wenn ich es wirklich darauf ankommen ließ, würde Nick mich nicht mit körperlicher Gewalt aufzuhalten versuchen. Es lag einfach nicht in seiner Natur.
»Wo ist dieses Treffen?«, fragte er. »Wenn es nicht in der Öffentlichkeit ist –«
»Im Donut Hole. Der öffentlichste Ort, der mir eingefallen ist. Ganz gleich, was du jetzt denkst, ich werde nichts tun, das mich in Gefahr bringt. Ich würde auch nichts tun, das dich in Gefahr bringt. Das einzige Risiko, das ich eingehe, besteht darin, dass ich Jeremys Befehl nicht gehorche. Und das tue ich nur, weil es falsch ist, mich auszuschließen.«
»Du willst dich also in diesem Café mit Daniel treffen? Dann werde ich auch dabei sein. Wir parken direkt vor der Tür. Wir gehen nirgendwohin mit ihm, und wenn's nur einmal die Straße entlang wäre.«
»Genau.«
Nick drehte sich um und ging zum Haus. Er war nicht glücklich mit alldem, aber er würde es tun. Eines Tages würde ich mich erkenntlich zeigen.
Als ich das Auto auf einem freien Parkplatz vor dem Café abstellte, konnte ich durch das Fenster Daniel an einem der Tische sitzen sehen. Das schulterlange rotbraune Haar hatte er hinter das linke Ohr zurückgestrichen – nach dem kleinen Beißunfall vor ein paar Jahren sein einziges Ohr. Er hatte ein scharfes Profil – hohe Wangenknochen, spitzes Kinn und eine schmale Nase, gar nicht unattraktiv auf eine gefährliche Art, aber er sah eher nach einem Fuchs aus als nach einem Wolf, was durchaus zu seiner Persönlichkeit passte.
Als ich ausstieg, folgten mir die grünen Augen, aber er gab kein anderes Zeichen des Erkennens; er hatte vor langer Zeit gelernt, dass ich nicht gut darauf reagierte, umschmeichelt zu werden. Er war hager gebaut und eben mittelgroß. Wenn wir uns gegenüberstanden, waren unsere Augen auf gleicher Höhe, er konnte also nicht größer sein als eins achtundsiebzig. Bei einer früheren Gelegenheit, als ich mich mit Daniel hatte treffen müssen, um ihm eine Verwarnung von Jeremy zu überbringen, hatte ich Fünf-Zentimeter-Absätze getragen und das Gefühl, auf ihn herabsehen zu können, durchaus genossen – jedenfalls bis er mir mitteilte, wie sexy ich damit aussah. Seither hatte er mich nie mehr in etwas anderem gesehen als in meinen ältesten und schäbigsten Leinenschuhen.
Heute trug Daniel ein einfaches schwarzes T-Shirt und Jeans, also mehr oder weniger das, was er immer trug. Er kopierte Clays monochrome, bauarbeiterlässige Garderobe, als würde sie ihm einen gewissen Stil verleihen. Sie tat es nicht.
Marsten saß Daniel gegenüber. Wie üblich war er gepflegt und gekleidet, als sei er gerade einer Ausgabe von GQ entstiegen, was Daniel vergleichsweise wie einen Penner aussehen ließ. Okay, verglichen mit Karl Marsten sah jeder aus wie ein Penner.
Als Nick und ich hereinkamen, stand Marsten auf und kam zur Tür geschlendert.
»Du bist ja wirklich gekommen«, sagte er zu mir. »Es wundert mich, dass Jeremy dich hat kommen lassen. Oder weiß er überhaupt davon?«
Ich hätte mich in den Hintern treten können. Daran, wie es aussehen würde, wenn ich gegen Jeremys Willen hier auftauchte, hatte ich gar nicht gedacht. Meinungsverschiedenheiten innerhalb des Rudels. Einfach großartig. Und Marsten, verlässlich wie immer, hatte es innerhalb der ersten fünf Sekunden gemerkt.
»Du siehst gut aus, Elena«, fuhr er fort, ohne auf meine Antwort zu warten. »Müde, aber das war nicht anders zu erwarten. Hoffen wir, dass das alles
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