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Die Nacht der Wölfin

Die Nacht der Wölfin

Titel: Die Nacht der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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aber das war etwas anderes.
    »Gesellschaft zum Frühstück?«, fragte er.
    »Nein.«
    Wieder ein schläfriges Schulterzucken. Noch ein paar Stunden, und er würde die Zurückweisung nicht mehr kampflos hinnehmen. Zum Teufel, in ein paar Stunden würde er sich gar nicht mehr die Mühe machen, mich zu fragen, ob er sich mir anschließen durfte. Ich machte mich wieder auf den Weg treppab und war genau drei Stufen weit gekommen, als er mit einem Schlag wach wurde, hinter mir hertrabte und mich am Ellenbogen packte.
    »Ich hol dir das Frühstück«, sagte er. »Wir treffen uns im Wintergarten. Ich will mit dir reden.«
    »Ich habe dir aber nichts zu sagen, Clayton.«
    »Fünf Minuten.«
    Bevor ich antworten konnte, war er die Treppe wieder hinaufgerannt und in seinem Zimmer verschwunden. Ich hätte ihm nachlaufen können, aber das hätte bedeutet, ihm in sein Schlafzimmer zu folgen. Entschieden keine gute Idee.
    Am Fuß der Treppe brachte mich der Duft abrupt zum Stehen. Schinken mit Honig und dazu Pfannkuchen, mein Lieblingsfrühstück. Ich betrat den Wintergarten und sah mir den Tisch an. Ja, Mengen von Schinkenscheiben und Pfannkuchen warteten aufgetürmt auf einer dampfenden Platte. Sie waren dort nicht von allein entstanden, obwohl ich darüber vielleicht weniger überrascht gewesen wäre. Die einzige Person, die sie gemacht haben konnte, war Jeremy, aber Jeremy kochte nicht. Nicht, dass er es nicht konnte – er tat es nicht. Damit will ich nicht sagen, dass er von Clay oder mir erwartete, ihn zu bedienen. Aber wenn er für uns das Frühstück richtete, dampfte nur der Kaffee. Der Rest war immer ein Sammelsurium von Brot, Käse, kaltem Fleisch, Obst und allem anderen, das ohne Aufwand vorbereitet werden konnte.
    Jeremy kam hinter mir ins Zimmer. »Es wird kalt. Setz dich hin und iss.«
    Ich verlor kein Wort über das Frühstück. Wenn Jeremy sich zu einer Geste entschloss, wollte er nicht, dass darüber geredet wurde, noch weniger, dass man ihm dankte. Einen Augenblick lang war ich sicher, dass dies Jeremys Art war, mich willkommen zu heißen. Dann kamen die alten Zweifel wieder hoch. Vielleicht hatte er das Frühstück nur gerichtet, um mich zu besänftigen. Jeremys Absichten konnte ich nicht erraten, nicht einmal nach all den Jahren. Manchmal war ich mir sicher, dass er mich in Stonehaven haben wollte. Bei anderen Gelegenheiten war ich davon überzeugt, dass er mich nur akzeptierte, weil er keine Wahl hatte, weil ich nun einmal in sein Leben gedrängt worden war und weil es im Interesse des Rudels war, mich ruhig und unter Kontrolle zu halten. Ich wusste, ich verbrachte zu viel Zeit mit solchen Überlegungen, versuchte zu sehr, eine Bedeutung in jeder einzelnen Geste zu erkennen, war viel zu begierig darauf, Zeichen der Anerkennung zu finden. Vielleicht steckte ich immer noch in den Mustern meiner Kindheit fest. Vielleicht wünschte ich mir einen Vater mehr, als ich zugeben wollte. Ich konnte nur hoffen, dass es nicht so war. Die bedürftige Waise war nicht gerade das Image, das ich anderen vermitteln wollte.
    Ich setzte mich und fiel über das Essen her. Die Pfannkuchen waren aus einer Fertigmischung gemacht, aber ich beschwerte mich nicht. Sie waren heiß, sie machten satt, und es gab Butter und Ahornsirup dazu – echten Ahornsirup, nicht das künstliche Zeug, das ich immer kaufte, um ein paar Dollar zu sparen. Ich verschlang den ersten Stoß und streckte den Arm nach dem nächsten aus. Jeremy zuckte nicht mit der Wimper. Das musste man Stonehaven immerhin lassen: Ich konnte essen, so viel ich wollte, und niemand machte Bemerkungen oder nahm auch nur Notiz davon.
    Wenn Clay die Nacht damit verbracht hatte, mein Schlafzimmerfenster zu beobachten, dann hatte Jeremy offenbar den Morgen über hier unten auf der Lauer gelegen. Zwischen seinem Stuhl und dem Fenster war seine Staffelei aufgebaut. Ich sah ein neues Blatt Papier und ein paar unverbundene Striche darauf. Weit war er mit der neuen Zeichnung noch nicht gediehen. Die paar Linien, die er gezeichnet hatte, waren unverkennbar mehrmals ausradiert und neu gezogen worden. An einer Stelle war das Papier schon fast durchgerieben.
    »Hast du vor, mir irgendwann zu sagen, was los ist?«, fragte ich.
    »Hast du denn vor zuzuhören? Oder versuchst du den nächsten Streit anzufangen?«
    Er zeichnete eine neue Linie über den Schatten der vorherigen und radierte sie aus. Das Braun der Staffelei schimmerte durch das Loch im Papier.
    »Er ist noch da, stimmt's?«, fragte

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