Die Nacht der Wölfin
ich. »Der Grund, warum ich gegangen bin? Du bist immer noch wütend.«
Er sah nicht von seiner Zeichnung auf. Verdammt noch mal, warum sah er eigentlich nicht auf?
»Ich war nie wütend auf dich, Elena. Du warst wütend auf dich selbst. Deswegen bist du gegangen. Es hat dir nicht gefallen, was du getan hast. Es hat dir Angst gemacht, und du hast geglaubt, es würde verschwinden, wenn du fortgehst. Und, ist es verschwunden?«
Ich sagte nichts.
Sechzehn Monate zuvor war ich Berichten darüber nachgegangen, dass jemand Informationen über Werwölfe verkaufte. Nun bringt das Rudel nicht jeden Typen zur Strecke, der behauptet, Beweise für die Existenz von Werwölfen zu haben. Das wäre ein Vollzeitjob für jeden Werwolf auf der Welt, innerhalb und außerhalb des Rudels. Wir haben ein Auge auf Storys, die seriös klingen – worunter Berichte mit Schlüsselworten wie Silberkugel, Babymord und wildernde Mensch-Tier-Mischwesen nicht fallen. Übrig bleibt ein Teilzeitjob für zwei Leute – Clay und mich. Wenn ein Werwolfaußenseiter für Ärger sorgte und Jeremy ein Exempel statuieren wollte, schickte er Clay. Wenn der Ärger nicht mehr schnell und ohne Aufwand zu beseitigen war – oder wenn Menschen beteiligt waren –, waren Vorsicht und Finesse erforderlich. Dann schickte er mich. Der Fall José Carter verlangte nach meiner Version der Schadensbegrenzung.
José Carter war ein kleiner Schwindler, der sich auf paranormale Phänomene spezialisiert hatte. Er hatte sein Leben damit verbracht, die Leichtgläubigen und Angreifbaren um ihr Geld zu bringen, indem er ihnen von ihren Angehörigen erzählte, die aus dem Jenseits Kontakt aufzunehmen versuchten. Vor zwei Jahren, als er gerade in Südamerika arbeitete, war er in eine kleine Stadt gekommen, in der angeblich ein Werwolf umging. Carter war nicht der Typ, der eine gute Gelegenheit ungenutzt vorbeiziehen ließ; er quartierte sich ein und begann Material zu sammeln – falsches Material, wie er meinte –, das er dann in den Vereinigten Staaten verkaufen konnte. Das Problem war, das Material war nicht falsch. Einer der Mutts war auf einer Rundreise durch Ecuador; er klapperte Dorf um Dorf ab und hinterließ eine Leichenspur. Der Mutt glaubte, er habe eine perfekte Lösung gefunden, indem er sich so abgelegene Orte vornahm, dass niemand ein Muster erkennen würde. Er hatte nicht mit José Carter gerechnet. Und Carter hatte zwar nicht damit gerechnet, jemals ein echtes paranormales Phänomen zu finden, aber er erkannte es schnell, als er darauf stieß. Er verließ Ecuador mit Augenzeugenberichten, Haarproben, Gipsabgüssen von Pfotenspuren und Fotografien im Gepäck. Nach seiner Rückkehr in die Vereinigten Staaten hatte er mit mehreren paranormalen Gesellschaften Kontakt aufgenommen und versucht, seine Informationen zu verkaufen. Er war sich seiner Sache so sicher gewesen, dass er sogar angeboten hatte, den Höchstbieter nach Südamerika zu begleiten, um ihm die Bestie suchen zu helfen.
Ich traf José Carter bei seiner Verkaufsveranstaltung in Dallas. Ich hatte versucht, ihn in Misskredit zu bringen. Ich hatte versucht, das Material zu stehlen. Als nichts davon klappte, griff ich auf die einzige Methode zurück, die mir noch blieb. Ich brachte ihn um. Ich hatte es auf meinen eigenen Entschluss hin getan, ohne Anweisung von Jeremy, ohne Jeremy auch nur Bescheid gesagt zu haben. Danach war ich in mein Hotel zurückgekehrt, hatte mich gesäubert und gründlich ausgeschlafen. Als ich am Morgen aufwachte, wurde mir schlagartig die ganze Tragweite dessen bewusst, was ich getan hatte. Nein, nicht so sehr dessen, was ich getan hatte, sondern der Art und Weise, wie ich es getan hatte, wie mühelos ich es getan hatte. Ich hatte einen Mann mit etwa so viel moralischen Bedenken umgebracht, als hätte ich eine Mücke erschlagen.
Auf dem Rückweg nach New York legte ich mir Erklärungen für Jeremy zurecht, Argumente dafür, dass ich gehandelt hatte, ohne ihn zu fragen. Carter war ganz offensichtlich eine Bedrohung gewesen. Ich hatte alles versucht, um ihn unschädlich zu machen. Die Zeit war knapp geworden. Hätte ich Jeremy angerufen, hätte er genau das Gleiche von mir verlangt, also hatte ich damit, dass ich die Sache selbst in die Hand nahm, nur Zeit gespart. Ich hatte Stonehaven noch nicht erreicht, als mir die Wahrheit aufging. Es war nicht Jeremy, den ich zu überzeugen versuchte. Ich selbst war es. Ich hatte eine Schwelle überschritten. Ich hatte mit dem einzigen Ziel
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