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Die Nacht der Wölfin

Die Nacht der Wölfin

Titel: Die Nacht der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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gehandelt, das Rudel zu schützen, ohne eine Spur von Mitgefühl oder Gnade. Ich hatte gehandelt wie Clay. Es machte mir Angst – so viel Angst, dass ich fortgelaufen war und mir geschworen hatte, nie wieder zu diesem Leben zurückzukehren.
    Und war es verschwunden? Hatte ich den Eindruck, meine Instinkte und Impulse wieder vollkommen unter Kontrolle zu haben? Ich wusste es nicht. Seit über einem Jahr hatte ich nichts getan, was so fürchterlich falsch gewesen war, aber ich war auch nie in eine Lage geraten, in der sich mir die Möglichkeit geboten hatte. Ein weiterer Grund, weshalb ich nicht nach Stonehaven hatte zurückkehren wollen. Ich wusste nicht, ob es verschwunden war, und ich wusste auch nicht, ob ich es herausfinden wollte.
    Unruhe an der Tür ließ mich aus den Erinnerungen hochfahren. Als ich aufsah, kam eine große dunkle Gestalt in den Wintergarten gestürmt. Nick entdeckte mich, durchquerte den Raum mit drei Sätzen und schwang mich von meinem Stuhl hoch. Mein Absatz verhakte sich unter der Sitzkante und warf den Stuhl um. Nick knurrte scherzhaft, während er mich an sich drückte.
    »Du warst zu lang weg, kleine Schwester, viel zu lang!«
    Damit hob er mich hoch und küsste mich. Was immer der Wortlaut der Begrüßung gewesen war, der Kuss war ganz entschieden nicht brüderlich – es war ein Zungenkuss, nach dem ich unwillkürlich nach Atem rang. Jeder andere hätte dafür eine Ohrfeige bekommen, aber kein anderer hätte mich mit halb so viel Sachverstand geküsst, und so beschloss ich, es durchgehen zu lassen.
    »Fühl dich einfach wie zu Hause«, sagte Clays Stimme gedehnt von der Tür her.
    Nick drehte sich zu ihm um und grinste. Während er mich immer noch mit einem Arm umfasst hielt, ging er zu Clay hin und schlug ihm auf den Rücken. Clays Arm flog nach oben und packte Nick in einer Kopfzange. Er zog mich fort und stieß Nick aus dem Weg. Nick fand sein Gleichgewicht und sein Grinsen sofort wieder und kam zu uns zurückgetrabt.
    »Wann bist du gekommen?«, fragte er mich und stieß Clay in die Rippen. »Und warum habt ihr uns nicht gesagt, dass sie kommt?«
    Von hinten schloss mich wieder jemand in die Arme und hob mich hoch. »Die verlorene Tochter ist wieder da!«
    Ich drehte den Kopf und sah in ein Gesicht, das so vertraut war wie Nicks. »Du bist genauso übel wie dein Sohn«, sagte ich, während ich mich aus seinem Griff wand. »Könnt ihr Typen es eigentlich nicht beim Handgeben belassen?«
    Antonio lachte und setzte mich ab. »Ich sollte fester drücken. Vielleicht würde dich das lehren, eine Weile zu Hause zu bleiben.«
    Antonio Sorrentino hatte das wellige dunkle Haar und die atemberaubenden braunen Augen mit seinem Sohn gemeinsam. Meist behaupteten sie, sie seien Brüder. Antonio war dreiundfünfzig und sah halb so alt aus, was ebenso an seiner Leidenschaft für einen gesunden Lebensstil lag wie daran, dass er ein Werwolf war. Er war etwas kleiner und stämmiger als sein Sohn, und seine breiten Schultern und der schwellende Bizeps ließen Clay wie ein Federgewicht wirken.
    »Ist Peter schon da?«, fragte Antonio, während er sich den Stuhl neben Jeremy zurechtzog. Der trank gerade seine zweite Tasse Kaffee, ohne sich von dem Aufruhr stören zu lassen.
    Jeremy schüttelte den Kopf.
    »Sie kommen also alle?«, fragte ich.
    »Iss fertig«, sagte Jeremy, während er mich kritisch musterte. »Du hast abgenommen. Das darfst du nicht. Wenn du nicht genug Energie zuführst, verlierst du allmählich die Kontrolle. Ich hab dich schon mal gewarnt.«
    Und damit schob er endlich die Staffelei zur Seite und begann mit Antonio zu reden. Clay griff über meine Schulter, schnappte sich ein großes Stück Schinken und schlang es auf einmal hinunter. Als ich ihn strafend anstarrte, antwortete er mit einem entwaffnenden Ich-will-doch-nur-helfen-Achselzucken.
    »Lass die Finger von ihrem Teller«, sagte Jeremy, ohne sich umzusehen. »Deiner steht in der Küche. Es ist genug für alle da.«
    Antonio war als Erster zur Tür hinaus. Als Nick ihm folgen wollte, packte Clay ihn am Arm. Er sagte kein Wort. Er brauchte nichts zu sagen. Nick nickte und stürmte davon, um zwei Teller zu füllen, während Clay den Stuhl neben mir nahm.
    »Tyrann«, murmelte ich.
    Clay zog die Augenbrauen hoch; die blauen Augen funkelten unschuldig. Seine Finger schossen vor, um das nächste Stück Schinken von meinem Teller zu holen. Ich griff nach der Gabel und rammte sie ihm hart genug in den Handrücken, dass er aufjaulte.

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