Die Nacht der Wölfin
durch die Wohnung, als Nick keuchend zur Tür hereingeschossen kam.
»Ich hab dich rufen hören«, sagte er. »Ihr habt seine Wohnung? Ist er hier?«
»Nein«, sagte ich.
»Können wir auf ihn warten?«, fragte Nick mit hoffnungsvollem Gesichtsausdruck.
Ich zögerte, schüttelte dann aber den Kopf. »Er würde uns riechen, bevor er noch an der Tür ist. Jeremy hat gesagt, wir dürfen nur töten, wenn wir es absolut gefahrlos tun können, und das können wir nicht. Wenn er kein kompletter Neuling ist, riecht er uns, sobald er zurückkommt. Mit ein bisschen Glück versteht er die Andeutung und verschwindet aus der Stadt. Dann können wir ihn später jagen und ihn außerhalb vom Rudelterritorium töten. Das ist ganz entschieden ungefährlicher.«
Clay streckte den Arm in Richtung Nachttisch aus, wo er die Dinge abgelegt hatte, die er unter dem Bett gefunden hatte. Er gab mir zwei Streichholzbriefe.
»Ich kann mir in etwa vorstellen, wo unser Mutt seine Abende verbringt«, sagte er. »Wenn er wirklich zu dumm ist, um aus der Stadt zu verschwinden, bevor wir ihn uns morgen Nacht vornehmen, dann treffen wir ihn wahrscheinlich dabei an, wie er die Fleischmärkte hier herum nach seinem Abendessen abklappert.«
Ich sah mir die Streichholzbriefe an. Der eine stammte aus Rick's Tavern, einem von den drei Lokalen mit einer Lizenz zum Alkoholausschank in der Umgebung. Der andere war braun und billig, und die Adresse war einfach auf die Rückseite gestempelt. Ich prägte sie mir ein, denn wir konnten nicht gut etwas mitnehmen – was Taschen anging, waren wir im Augenblick alle drei schlecht ausgestattet.
»Zurück zu den Kleidern«, sagte Clay. »Nick und ich haben unsere auf der anderen Seite der Hauptstraße liegen gelassen, ganz in der Nähe, wo wir dich abgesetzt haben. Wir können ein Stück zusammen rennen. Willst du dich im Schlafzimmer verwandeln? Wir zwei bleiben hier.«
Mein Herz begann zu hämmern. »Verwandeln?«
»Jawohl, verwandeln. Oder hast du etwa vor, nackt zum Auto zurückzutraben, Darling? Nicht, dass es mir was ausmachen würde, solange nicht noch jemand anderes was davon hat. Aber über die Hauptstraße zu kommen könnte ein bisschen schwierig werden.«
»Hier gibt es doch Sachen.«
Clay schnaubte. »Ich lasse mich lieber nackt erwischen als in den Klamotten von irgendeinem Mutt.« Als ich nicht antwortete, runzelte er die Stirn. »Stimmt irgendwas nicht, Darling?«
»Nein, ich habe nur – nein. Alles in Ordnung.«
Ich ging ins Schlafzimmer und schloss die Tür bis auf einen Spalt, damit ich wieder hinauskam, wenn – oder eher falls – meine Wandlung erfolgreich war. Glücklicherweise fiel es niemandem als ungewöhnlich auf, dass ich dabei allein sein wollte. So nahe sich die Rudelmitglieder standen, die meisten brachten ihre Wandlung allein hinter sich. Wie üblich war Clay eine Ausnahme. Ihm war es gleichgültig, wer ihn dabei sah. Für ihn war dies ein natürlicher Zustand, nichts, dessen man sich zu schämen brauchte, selbst wenn man auf halber Strecke einer Wandlung aussah wie etwas aus einem Monstrositätenkabinett. Für Clay war Eitelkeit nur eine weitere unverständliche und fremdartige menschliche Angewohnheit. Nichts Natürliches sollte versteckt werden müssen. Die Schlösser der Badezimmer von Stonehaven waren seit zwanzig Jahren kaputt. Niemand machte sich die Mühe, sie zu reparieren. Manche Dinge waren es einfach nicht wert, dass man sich ihretwegen mit Clays Wolfsnatur auseinander setzte. Aber bei einer gemeinsamen Wandlung war bei mir Schluss.
Ich ging zum anderen Ende des Betts hinüber, so dass Clay und Nick mich durch die Tür nicht sehen konnten. Dann ließ ich mich auf alle viere fallen, konzentrierte mich und hoffte das Beste. Fünf endlose Minuten lang passierte gar nichts. Ich begann zu schwitzen und versuchte es nachdrücklicher. Weitere Minuten vergingen. Ich glaubte spüren zu können, wie meine Hände zu Klauen wurden, aber als ich nach unten sah, waren es nur meine sehr menschlichen Finger, die sich in den Teppich gruben.
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie die Tür sich bewegte. Eine schwarze Nase schob sich ins Zimmer. Eine goldene Schnauze folgte. Ich machte einen Satz und knallte die Tür zu, bevor Clay mich sah. Er gab ein fragendes Winseln von sich. Ich grunzte und hoffte, das Geräusch würde hinreichend wölfisch klingen. Clay grunzte zurück und tappte davon. Ein Aufschub, aber ein kurzer. Es würde keine fünf Minuten dauern, bis er wieder da war. Clay
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