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Die Nacht der Wölfin

Die Nacht der Wölfin

Titel: Die Nacht der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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war nicht gerade bekannt für seine Geduld.
    Ich schlich mich über den Teppich zur Tür und öffnete sie sehr vorsichtig wieder einen Spalt weit, damit ich sie aufstoßen konnte, falls – wenn, bitte, wenn – ich mich verwandelte. Für den Notfall begann ich mir andere Lösungen zu überlegen. Irgendwelche Klamotten nehmen und durchs Fenster ausbrechen? Während ich noch das winzige Fenster studierte, begann meine Haut zu prickeln und sich zu spannen. Ich sah nach unten und bemerkte, dass meine Nägel dicker und meine Finger kürzer wurden. Mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung schloss ich die Augen und ließ die Wandlung ablaufen.
    Wir glitten verstohlen durch den Hof hinter dem Haus und kamen auf der Nordseite von Bear Valleys Fastfood-Viertel wieder heraus, einem Straßenabschnitt, an dem jede nur denkbare Restaurantkette ein Drive-In hatte. Wir verschwanden in einem Gewirr von Gassen, die sich durch einen ganzen Block von Lagerhallen zogen. Als wir die Lichter endlich hinter uns gelassen hatten, begannen wir zu rennen.
    Es dauerte nicht lang, bis sich zwischen Clay und mir ein Wettrennen entspann. Eigentlich mehr ein Hindernisrennen; wir rutschten durch Pfützen und stolperten über Müllsäcke. Ich lag in Führung, als am Ende der Gasse krachend ein Eimer umfiel und wir alle drei schlitternd zum Stehen kamen.
    »Scheiße, was machst du eigentlich«, sagte eine junge männliche Stimme. »Pass auf, wo du hintrittst, und überhaupt, setz mal deinen Arsch in Bewegung. Wenn mein Dad rauskriegt, dass ich abgehauen bin, nagelt er meine Haut an die Hintertür.«
    Eine zweite männliche Stimme antwortete mit einem alkoholisierten Kichern. Der Mülleimer schepperte über den Boden, dann erschienen zwei Köpfe in unserem Blickfeld. Sie kamen die Gasse entlang. Ich schob mich rückwärts tiefer in die Schatten hinein, bis ich mit dem Hinterteil an die Ziegelmauer stieß. Jetzt steckte ich zwischen einem Haufen Müll und einem Stoß Pappkartons fest. Gegenüber zogen sich Nick und Clay in eine Türöffnung zurück und verschwanden in der Dunkelheit; nur Clays glimmende blaue Augen waren noch zu sehen. Er sah von mir zu den näher kommenden Jungen, um mir zu verstehen zu geben, dass der Schatten nicht ausreichte und dass man mich sehen konnte. Es war zu spät, um noch umzuziehen. Ich konnte nur hoffen, dass die beiden zu betrunken waren, um auf mich zu achten.
    Die beiden Jungen schwatzten über etwas, aber die Worte rauschten wie Hintergrundgeräusche an mir vorbei. Wenn ich in dieser Gestalt menschliche Äußerungen verstehen wollte, musste ich mich konzentrieren, etwa als versuchte ich jemanden zu verstehen, der Französisch sprach. Und damit konnte ich mich nun wirklich nicht aufhalten. Ich war zu sehr damit beschäftigt, ihre Füße zu beobachten, während sie näher kamen.
    Als sie auf gleicher Höhe mit dem Müllhaufen waren, drückte ich mich flach auf den Boden. Die Stiefel taten drei weitere Schritte, dann waren sie an meinem Versteck vorbei. Ich zwang mich dazu, nicht hinzuhören, und sah stattdessen hinauf in ihre Gesichter, von denen ich mir mehr Information versprach. Sie waren nicht älter als siebzehn. Einer war groß und kahl rasiert und trug eine Lederjacke, zerrissene Jeans und Springerstiefel, dazu eine Tätowierung um den Hals und Stecker in Lippen und Nase. Sein Freund steckte in einer ganz ähnlichen Kluft, war aber weder tätowiert noch gepierct; offenbar war er nicht couragiert oder nicht schwachsinnig genug, ein modisches Statement bis zur dauerhaften Entstellung zu treiben.
    Sie schwatzten weiter miteinander, während sie sich schon entfernten. Dann stolperte der eine. Im Fallen drehte er sich, griff nach dem Mülleimer und sah mich. Er blinzelte einmal. Dann zog er seinen Freund am Jackenärmel und deutete auf mich. Mein Instinkt sagte mir, ich solle der Bedrohung mit einem Angriff begegnen. Die Vernunft zwang mich zu warten. Vor zehn Jahren hätte ich die Jungen getötet, sobald sie die Gasse betraten. Vor fünf Jahren wäre ich gesprungen, sobald mich einer von ihnen bemerkte. Selbst heute noch spürte ich den Konflikt tief in meinen Eingeweiden, eine mahlende Furcht, bei der sich meine Muskeln zum Angriff spannten. Dies – der Kampf um die Kontrolle über meinen Körper – war es, was ich mehr hasste als alles andere.
    Ein leises Grollen hallte durch die Gasse. Ich spürte den Widerhall in meiner Kehle und merkte, dass ich es war, die knurrte. Meine Ohren lagen flach am Kopf an. Eine

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