Die Nacht der Wölfin
weg bist. Bleibt meinetwegen nicht auf. Wir sehen uns morgen, und ich schleppe dich einfach zum Mittagessen ab, dann hast du eine Weile deine Ruhe. Okay?«
»Natürlich okay. Bis morgen also.«
Er verabschiedete sich und legte auf. Als ich den Hörer wieder auf die Gabel legte, hörte ich, wie Nick draußen versuchte, Mitspieler für eine Runde improvisierten Fußball zu rekrutieren. Vor der Arbeitszimmertür blieb er stehen und klopfte.
»Ich mache mit«, sagte ich. »Bin gleich da.«
Ich sah zurück zum Telefon. Logan kam. Schon das war genug, um mich all die Probleme und Ärgernisse des Tages vergessen zu lassen. Ich lächelte vor mich hin und rannte zur Tür hinaus. Mit einem Mal war ich sehr dafür, mich ordentlich auszutoben, bevor wir uns auf die Muttjagd machten.
Beutegreifer
Nach dem Essen bereitete ich mich auf den Abend vor. Die richtige Kleidung dafür auszuwählen war das erste Problem. Wenn ich diesen Mutt an Land ziehen wollte, musste ich die Rolle spielen, die bei Werwölfen am besten funktioniert: Elena, die sexy Beutegreiferin. Das hieß nicht etwa Minirock, durchsichtige Bluse und Netzstrümpfe, schon weil ich nichts von alldem besaß. Und ich besaß deshalb nichts von alldem, weil es an mir lächerlich gewirkt hätte. Fähnchenhafte Oberteile, Stilettoabsätze und Hüftgürtelröcke ließen mich aussehen wie eine staksige Vierzehnjährige, die sich verkleidet. Die Natur hat mich nicht mit Kurven gesegnet, und mein Lebensstil ließ mich keine Polster entwickeln. Ich war zu groß, zu dünn und zu athletisch, um eine geeignete Kandidatin für das Playmate des Monats abzugeben.
Zu Beginn meiner Zeit in Stonehaven war strikte Lässigkeit à la Schlussverkauf mein Kleidungsstil gewesen, wie viel Geld Jeremy mir auch für Kleider gab. Ich wusste einfach nicht, was ich mir sonst hätte kaufen sollen. Als Antonio uns Karten für eine Broadwaypremiere besorgte, war ich in Panik geraten. Es gab keine Frauen, die ich bei der Suche nach einem Kleid um Hilfe hätte bitten können, und Jeremy wagte ich nicht zu fragen – aus Angst davor, ich könnte am Ende in irgendeiner Monstrosität aus Satin und Spitze stecken, die sich höchstens für einen Highschool-Abschlussball geeignet hätte. Ich war in einer Reihe teurer New Yorker Läden gewesen und hatte vollkommen und in jeder Hinsicht den Überblick verloren. Mein Retter war in einer höchst unerwarteten Gestalt erschienen: Nicholas. Nick verbrachte mehr Zeit in Gesellschaft von Frauen, vor allem reichen, schönen jungen Frauen, als jeder andere Mann außerhalb eines James-Bond-Films. Sein Geschmack war unfehlbar, und er bevorzugte klassische Entwürfe, einfache Stoffe und glatte Linien, die meine Größe und meine nicht vorhandenen Kurven wie Vorzüge wirken ließen. All meine eleganten Kleider hatte ich mit Nicks Hilfe gekauft. Er hatte nicht nur nichts dagegen, den gesamten Tag auf der Fifth Avenue zu verbringen – er hatte auch die Kreditkarte auf den Kassentisch gelegt, bevor ich meine aus der Börse fischen konnte. Kein Wunder, dass er bei den Frauen so beliebt war.
Ich suchte mir ein Kleid für den Abend aus, eins, das mir Nick tatsächlich geschenkt hatte, zu einem Geburtstag vor zwei Jahren. Es war ein wunderbares indigoblaues Seidenkleid, knielang und vollkommen schmucklos. Ich beschloss auf Strümpfe zu verzichten und Sandalen dazu zu tragen, um nicht zu elegant zu wirken.
Als ich beim Make-up angekommen war, kam Clay herein und musterte mich prüfend. »Sieht gut aus«, sagte er. Dann sah er sich in meinem Prinzessinnenzimmer um und grinste. »Zur Einrichtung passt es natürlich nicht. Da fehlt noch irgendwas. Ein Spitzenschal aus den Vorhängen vielleicht? Oder ein paar Kirschblüten?«
Ich fauchte ihn im Spiegel an und beschäftigte mich wieder mit meinem Make-up, das heißt, ich studierte ein Töpfchen mit etwas Rosafarbenem und versuchte mich zu erinnern, ob es für Wangen oder Lippen bestimmt war. Hinter mir federte Clay auf dem Bett herum, plusterte die Paradekissen auf und lachte. Er hatte sich ebenfalls umgezogen und trug jetzt weite Dockershosen, ein weißes T-Shirt und eine lose Leinenjacke. Das Outfit verbarg seine Muskeln und verlieh ihm ein lässig-gepflegtes, studentisches Image, das ihn möglichst wenig bedrohlich wirken lassen sollte. Nick musste ihm geholfen haben, die Sachen auszusuchen. Clay hatte keine Ahnung, wie ›nicht bedrohlich‹ hätte aussehen sollen.
Wir brachen um neun in Jeremys Explorer auf. Clay
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