Die Nacht des einsamen Träumers.
Abend?«
»Nichts Besonderes. Das hoffe ich jedenfalls.«
»Möchten Sie zu uns zum Abendessen kommen? Meine Frau würde Sie so gern wiedersehen. Aber erwarten Sie nichts Großartiges.«
»Danke. Ich komme gern.«
»Ach, noch was, Dottore. Es wird ein weiterer Gast da sein, ein Cousin ersten Grades, der Sohn der jüngsten Schwester meines Vaters. Er war nur für zwei Tage geschäftlich in Vigàta, morgen kehrt er nach Rom zurück, wo er lebt. Er ist Ingenieur, er heißt Rocco Pennisi.«
Der Preside schien den Namen seines Cousins regelrecht zu buchstabieren. Er kam Montalbano irgendwie bekannt vor, aber im Augenblick brachte er ihn mit nichts Bestimmtem in Verbindung. Doch er war beunruhigt: Was hatte das zu bedeuten, dass ihm der Preside fast den Personalausweis des anderen Gastes vorlas?
Ingegnere Rocco Pennisi war ein gut gekleideter Mann um die sechzig, höflich und zurückhaltend. Auffallend war, dass ihn den ganzen Abend über kein Gespräch, das sie führten, zu interessieren schien. Er schaltete sich nur ein, wenn er gefragt wurde, aber auch während er antwortete, wirkte er abwesend, als hinge er einem anderen Gedanken nach. Der Commissario fing hin und wieder einen raschen Blick zwischen dem Preside und dem Cousin auf: Der Preside schien seinen Cousin mit den Augen aufzufordern, etwas zu sagen, und dieser antwortete, ebenfalls mit den Augen, nein . Auch Signora Angelina, die ein anmutiges Abendessen (so hatte Montalbano einmal eines ihrer Gerichte bezeichnet, und so bezeichnete er fortan jedes ihrer Gerichte) zubereitet hatte, schien sich immer unwohler zu fühlen, je mehr sich das Essen seinem Ende näherte. Das Einzige, was der Ingegnere von sich aus sagte, war, dass er am folgenden Morgen nach Rom zurückkehren wolle, weil er die Angelegenheit, derentwegen er nach Vigàta gekommen sei, früher als geplant erledigt habe.
»Nehmen Sie das Flugzeug um zehn?«, fragte Montalbano, nur um etwas zu sagen. Signora Angelinas Nervosität übertrug sich auf ihn. Der Ingegnere sah ihn irritiert an.
»Flugzeug? Als ich damit hätte reisen können, war es noch nicht üblich, mit dem... Nein, Commissario. Ich fahre mit dem Schnellzug nach Rom zurück.« Dann bedankte man sich und verabschiedete sich voneinander.
»Ich bin mit dem Auto da. Soll ich Sie mitnehmen?«, fragte Montalbano den Ingegnere, doch der Preside antwortete. »Danke, Dottore. Mein Cousin schläft hier.«
Eher verwirrt als überzeugt, fuhr Montalbano nach Marinella zurück.
Als er sich am folgenden Morgen rasierte, musste er wieder an die merkwürdige Atmosphäre während des Abendessens bei den Burgios denken. Etwas schien ihm sicher, nämlich, dass die Einladung kein Zufall gewesen war. Der Preside hatte die Begegnung zwischen ihm und Ingegnere Pennisi gewollt, möglicherweise weil ihm dieser etwas zu sagen hatte. Aber im Lauf des Essens hatte er es sich anders überlegt, obwohl ihn der Preside mit Blicken aufforderte, die Sache zur Sprache zu bringen. Und an wen hatte sich der Ingegnere mit dem Hinweis, er werde am nächsten Morgen abreisen, gewandt? Gewiss nicht an den Cousin und seine Frau, denn sie mussten es wissen: Der Ingegnere war ja ihr Gast. Und an Montalbano hatte er ihn sicher nicht gerichtet. Demnach war der wahre Sinn dieser Worte ein anderer. Vielleicht dieser: Lieber Cousin, lass es gut sein, wenn ich sage, dass ich morgen abreise, will ich das Thema abschließen, ich werde nicht mit dem Commissario sprechen. Und dann hatte Rocco Pennisi noch etwas Merkwürdiges gesagt, etwas, das ihm entschlüpft war, ohne dass er darüber nachgedacht hätte, er hatte sich ja sogar plötzlich unterbrochen. Als es um das Flugzeug ging. Er hatte in etwa gesagt, dass Flugreisen, als er dazu in der Lage war, noch nicht üblich waren. Warum hatte der Ingegnere zu einem bestimmten Zeitpunkt seines Lebens, auch wenn er gewollt hätte, nicht die Möglichkeit dazu gehabt? Was konnte ihn daran gehindert haben? Und dann war da noch etwas, das schwer zu erklären war. Ein Eindruck. Auch wenn der Commissario Rocco Pennisi während des Abendessens scheinbar nur angesehen hatte, wenn es unbedingt sein musste, hatte er ihn doch immer im Blick gehabt. Seine sparsamen Bewegungen waren ihm aufgefallen. Er breitete die Arme nicht aus, er legte die Ellenbogen nicht auf den Tisch... Gute Manieren, natürlich. Aber warum hatte er, als er sich an den Tisch setzte, sein Glas und sein Gedeck zu sich hergezogen, als sei er gewohnt,
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