Die Nacht des einsamen Träumers.
hier.«
Der Commissario erstarrte.
»Heißt das, dass du zum Bunker gefahren bist?«
»Sissi, Dottore. Es war ja sonst keiner da...«
»Warte dort auf mich, und fass ja nichts an, ich sag's dir. Apropos, von wo aus rufst du an?«
»Das hab ich doch schon gesagt. Ich bin rausgegangen, weil es drin nicht geht. Ich ruf mit meinem Handy an.«
»Dann häng dich doch gleich an dein Handy und ruf auch Pasquano und den Staatsanwalt an.«
»Dottore, mi pirdonasse, verzeihen Sie, aber ich kann mich da nicht dranhängen, ein Handy hat doch keine Schnur.«
Als er ihn von weitem sah, fuchtelte Catarella mit den Armen in der Luft wie ein Schiffbrüchiger auf einer einsamen Insel, der ein Schiff vorbeifahren sieht. »Hier bin ich, Dottore! Hier bin ich!« Der Bunker war am Rand eines Abgrunds mit einer extrem steilen Wand gebaut worden. Darunter lag das Meer mit einem schmalen goldgelben Strand. Montalbano sah ein Auto auf dem Strand stehen. »Wie kommt denn das Auto da hin?«
»Ich wüsste es, Dottore.«
»Sag schon.«
»Weil ich mit dem Auto da gekommen bin. Es ist meins.«
»Und wie bist du hier raufgekommen?«
»Ich bin die Wand rauf. Ich bin besser als ein Gebirgsjäger.«
Catarella trug eine große Taschenlampe um den Hals. Endlich hatte er mal was richtig gemacht, im Bunker war es stockfinster. Sie stiegen eine kleine Treppe hinab, die früher aus Beton gewesen war und sich jetzt als Müllplatz präsentierte, weiteren Müll fanden sie innen. Im Schein von Catarellas Taschenlampe lief der Commissario auf einer dicken Schicht Scheiße, Plastiktüten, Dosen, Flaschen, Präservativen, Spritzen herum. Es gab auch einen verrosteten Buggy. Die Leiche lag auf dem Rücken, die untere Hälfte im Abfall verborgen. Es war eine Frau mit nacktem Oberkörper, die Jeans am Bauch halb geöffnet. Nagetiere und Hunde hatten ihr Gesicht verwüstet und unkenntlich gemacht. Montalbano ließ sich die Lampe geben und betrachtete die Leiche aus der Nähe.
»Dottore, ich geh raus, wenn Sie erlauben«, sagte Catarella, der den Anblick wohl nicht ertrug.
Spuren von Schusswunden waren nicht zu sehen. Aber sie konnte erwürgt oder mit einer Stichwaffe am Rücken verletzt worden sein. Das Einzige war, hinauszugehen und auf Dottor Pasquano zu warten, auch weil man drinnen nicht atmen konnte, der Gestank schnürte einem die Kehle zu. »Krieg ich eine Zigarette?«, fragte Catarella, ganz blass. Eine Weile rauchten sie schweigend und blickten aufs Meer hinaus. »Und der Schäfer?«, fragte der Commissario.
»Der ist wieder weg, weil er zu den Schafen musste. Aber ich hab seinen Vornamen, seinen Nachnamen und seine Adresse aufgeschrieben.«
»Hat er gesagt, warum er in den Bunker gegangen ist?«
»Er musste mal.«
»Ich könnte mir vorstellen, wer die Ärmste ist«, sagte Fazio, zurück von einer erfolglosen Observation, nach der er einen Gesuchten hatte festnehmen wollen.
Montalbano war wieder ins Büro gefahren, nachdem Dottor Pasquano den Leichnam zur Obduktion mitgenommen hatte. Er hatte versprochen, ihn am folgenden Tag Näheres wissen zu lassen.
»Wen meinst du?«
»Sie musste Maria Lojacono heißen, verheiratet mit einem
gewissen Salvatore Piscopo, von Beruf Handelsvertreter.«
Dem Commissario war der Unmut deutlich anzumerken. Denn Fazios Akribie bei Personalien ging ihm immer auf die Nerven.
»Und woher weißt du das?«
»Weil ihr Mann sie vor drei Monaten vermisst gemeldet hat. Ich hab ein Foto drüben, ich hol's schnell.«
Maria Lojacono war ein hübsches Mädchen gewesen, mit einem lachenden, offenen Gesicht und großen schwarzen Augen. Höchstens Anfang zwanzig.
»Wann war das?«
»Heute sind es genau drei Monate.«
»Hat der Ehemann Einzelheiten erzählt?«
» Sissi . Die Lojacono hat geheiratet, als sie gerade achtzehn war. Neun Monate später wurde eine Tochter geboren. Sie starb nach zwei Monaten. Ein schreckliches Unglück: Sie ist an Erbrochenem erstickt. Von da an war die junge Frau verwirrt, sie wollte sich umbringen, sie sagte, sie wäre schuld am Tod der Kleinen. Ihr Mann brachte sie nach Montelusa, um sie behandeln zu lassen, aber da war nichts zu machen. Es wurde immer schlimmer. So schlimm, dass Piscopo, ihr Mann, der sie nicht allein lassen wollte, wenn er auf Fahrt war, sie zu ihrer Schwester brachte, die auf sie aufpasste. Eines Abends ging die Schwester ins Bett und hörte, bevor sie einschlief, Maria ins Bad gehen. Sie war müde und
Weitere Kostenlose Bücher