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Die Nacht des Satyrs

Die Nacht des Satyrs

Titel: Die Nacht des Satyrs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Amber
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einzige Verbindung über den Canale Grande, der Venedig teilte. In der Ferne sah sie bereits den steinernen Bogen, und der Meeresgeruch kribbelte in ihrer Nase, als sie darauf zueilte.
    Hinter ihr war niemand zu sehen oder zu hören. Dennoch pochte ihr Herz im Takt ihrer Schritte, ihr Atem ging schwer, und ihr ganzer Körper war angespannt vor Angst. Würde Salerno aus einer der Seitenstraßen oder Gassen auf sie zugesprungen kommen, sie davon abhalten, die Brücke zu erreichen, ihr den Fluchtweg abschneiden?
    Eine einsame Gondel wippte vorn am Kai, deren Aufbauten leise klimperten. Sie besaß kein Geld, um sie sich zu mieten. Und selbst wenn sie hätte bezahlen können, wo wollte sie hin?
    Auf der Brücke flackerten Laternen, die helle Diamantenumrisse auf das schlammige Kanalwasser warfen. Der Regen hatte aufgehört und wurde nun von zunehmendem Nebel abgelöst. Die Palazzi Manin und Bembo am Riva del Ferro, wo tagsüber Eisen gelöscht wurde, waren kaum auszumachen, obwohl sie gleich auf der anderen Seite des Kanals lagen. Eine tintige Schwärze von Himmel und Meer wartete einem klaffenden Schlund gleich, sie zu verschlingen.
    Über ihr auf den Balkonen der Häuser am Riva del Vin boten Kurtisanen ihre Körper feil. Trotz des Wetters waren hier und da noch Passanten unterwegs, die sich womöglich von den Brüsten locken ließen, welche weit üppiger als Jordans ausfielen. Falls sie einer der Damen zurief, würde diese Mitleid mit ihr haben? Nein, das war unwahrscheinlich, solange sie keine Münzen vorweisen konnte.
    Die meisten Ladenbesitzer oben auf dem Rialto hatten schon geschlossen und waren nach Hause gegangen. Und die Schreie der Armen, die im Elend unter der Brücke hausten, waren Jordan unheimlich.
    Wäre sie vor neunzehn Jahren zum Mädchen erklärt worden, könnten ihre Mutter und sie heute unter jenen Unglücklichen sein. Sie hätten eine kleine Mitgift bekommen, die angesichts des kapriziösen Lebensstils ihrer Mutter gewiss nicht lange vorgehalten hätte.
    Huren und Bettler gab es in Venedig zuhauf, seit die Franzosen unter Napoleon die Stadt geplündert hatten. Keine Frage, Jordan und ihre Mutter müssten heute inmitten der anderen Armen Venedigs unter der Brücke kauern, wären die Dinge vor neunzehn Jahren anders verlaufen. Und auch wenn Jordan vielleicht einen Weg gefunden hätte, zu überleben, wäre ihre Mutter an der Erniedrigung und Armut eingegangen.
    Weiter vorn regten sich die Brückenbewohner und riefen einem vornehm gekleideten Herren zu: »Signore! Signore! Seht her!«
    Im selben Moment vernahm Jordan etwas hinter sich. Salerno? Jordan schaute sich um, stürmte gleichzeitig vorwärts …
    Und krachte in eine menschliche Mauer.

[home]
    6
    A chtmal schlug der goldene Hammer im Campanile di San Marco gegen die Glocke, als Raine die Treppe vom Vortragssaal hinunterstieg. Er war von einem halben Dutzend Winzer umgeben, die immer noch den Vortrag über Phylloxera diskutierten, den sie alle besucht hatten.
    »Was haltet Ihr davon, dass die französische Regierung die Belohnung für ein Mittel gegen Phylloxera von 30   000 auf 300   000 Francs erhöht hat?«, fragte jemand.
    »Ich halte es für Idiotie«, antwortete Raine.
    »Dem stimme ich zu«, sagte ein anderer. »Das Herunterbeten von Vorschlägen, wie wir gegen diese Pest vorgehen sollen, war eine Vergeudung von vier Stunden, wenn Ihr mich fragt. Wie es sich anhörte, wird diese verdammte Laus weiterhin munter Saft und Leben aus unseren Reben saugen, ohne dass die Franzosen etwas dagegen tun können.«
    Ein anderer Mann mischte sich ein: »Dennoch denke ich, dass die Franzosen für die Bekämpfung zahlen sollten, sofern sich denn eine wirksame findet. Ihre Not ist die größte, befiel die Reblaus doch zuerst ihre Trauben.«
    »So oder so gehen sie es auf dem falschen Wege an«, mischte Raine sich ein. »Ihr alle habt gehört, welch närrische Ideen die Ausrufung einer Belohnung beförderte.«
    Einer seiner Begleiter lachte. »Und die, welche uns der französische Gesandte vorlas, waren vermutlich noch die am wenigsten grotesken. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie die abgelehnten Ideen aussahen.«
    In diesem Moment kam der Bischof keuchend hinter der Gruppe hergelaufen und sorgte für eine kurze Unterbrechung des Gesprächs. Als er bemerkte, dass Raine ihn ansah, errötete er wie ein Schulmädchen.
    Raine hatte ihn inzwischen schon vollkommen vergessen. Doch nun, da er ihn wiedersah, wunderte ihn, dass der schwatzhafte Bischof im

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