Die Nacht des Satyrs
einer menschlichen Frau erfahren. Stattdessen trieb seine überwältigende Lust ihn bei jedem Vollmond hinaus zur heiligen Klamm im Herzen des Satyr-Landes, wo er die ganze Nacht mit anderen Wesen kopulierte. Dabei handelte es sich um unwirkliche Kreaturen, die ein Satyr nach Belieben herbeirufen konnte, die jedoch nichts empfanden. Nebelnymphen.
In einer Woche, wenn wieder Vollmond war, würde er genau das hier in Venedig tun. Er würde sich für eine Nacht eine abgelegene, verschwiegene Unterkunft anmieten, wo er sich einschloss und vor jeder Entdeckung sicher war. Dann war vor allem wichtig, dass er sich von allen Menschen fernhielt, denn er wäre verletzlich.
Eine der anmutigeren Kurtisanen oben auf den Balkonen erregte seine Aufmerksamkeit. Kaum bemerkte sie, dass er sie ansah, fuhr sie sich mit einer Hand über ihren üppigen Busen, auf dass er sein Augenmerk dorthin richtete. Auf der Wölbung der einen Brust war die Andeutung ihrer Brustwarze zu sehen. Ihr Finger glitt unter den Stoff und umkreiste die Spitze, während zugleich ihre rosa Zunge über ihre Unterlippe strich. Sie senkte die Lider halb, beobachtete ihn jedoch weiter mit ihren grünen Augen. Sie wollte ihn betören.
Und er war sehr versucht.
Die Bedingungen einer solchen Zusammenkunft wurden stillschweigend zwischen beiden Parteien ausgehandelt. Dazu bedurfte es keiner Worte. Ihre Vereinigung wäre vorübergehend, nichtig. Es würden eher Währungen als Schmeicheleien ausgetauscht, und dies mit derselben Leichtigkeit wie Körperflüssigkeiten. Er brauchte lediglich an die Tür dieser Frau zu klopfen, um eingeladen zu werden – in ihren Leib.
Nein. Er bemühte die Reste seiner Selbstbeherrschung und zwang sich, weiterzugehen. Kurtisanen bewegten sich in denselben gesellschaftlichen Kreisen wie er zu seiner Zeit in Venedig. Diese hier könnte ihn wiedererkennen und etwas ausplaudern. Er durfte nicht riskieren, den Namen der Satyr-Familie abermals zu beflecken.
Raine duckte sich in die Schatten der Gebäude, die den Kanal umrahmten. Unter der Brücke warteten reichlich willige Gespielinnen.
Wäre er geneigt, könnte er sein Bett mit dem niedersten Gossenabschaum teilen und müsste nicht fürchten, sich irgendwelche Krankheiten einzufangen. Die Satyrn waren immun gegen Syphilis und Gonorrhöe, welche beide gerade in der Stadt wüteten. Was es, nebenbei bemerkt, umso absurder erscheinen ließ, dass eine simple Erkältung ihn erwischt hatte.
Der Ruf der Armen hallte über das Wasser. »Signore! Signore! Seht her!« Verlockungen wurden feilgeboten, von denen eine verwegener als die nächste war, je verzweifelter die Brückenleute um seine Gunst bettelten.
Er überflog die Horde mit seinen Blicken. Ein Lumpengesindel. Aber er könnte dort eine Frau finden, die ihm Erleichterung verschaffte und ihn von seiner Lüsternheit befreite. Männer boten sich ebenfalls feil. Jungen. Mädchen. Alle waren sie verzweifelt.
Und auch er war heute Abend verzweifelt. Er verzehrte sich nach menschlicher Wärme. Nur widerstrebte es seiner wählerischen Natur, seine Befriedigung bei einer dieser Frauen zu suchen.
Die Hermaphrodite hatte in ihm eine Lüsternheit geweckt, die nur sie allein wirklich stillen könnte. Er richtete sich kerzengerade auf. Was dachte er denn da?
Ein einziges Mal zuvor hatte er seine Zuneigung auf ein bestimmtes menschliches Wesen gerichtet. Auf das Wesen, das er heiratete. Und seine Wahl erwies sich als kolossaler Fehler. Nach der Hochzeit hatte er Nacht für Nacht das Lager mit ihr geteilt. Ihr Leib hatte seinen zur Befriedigung gebracht, nur war er nie wirklich befriedigt gewesen. Ihr beizuwohnen hatte sein Verlangen vielmehr gesteigert, so dass er hinterher zu den Nebelnymphen gehen musste.
Solche Anderweltwesen ließen sich von männlichen Abkömmlingen der Satyr-Linie jederzeit und überall mühelos heraufbeschwören. Sie waren wunderschöne willige Gefäße, deren einziger Existenzgrund darin bestand, ihn und seine Brüder zum Orgasmus zu bringen, so oft und wie sie wollten.
Er brauchte sich bloß einen Geschlechtsakt vorzustellen und dieses Phantasiebild in den Geist der Kreatur zu übertragen. Ohne dass ein Wort gesprochen wurde, verstand sie ihn und tat alles, um ihm zu Gefallen zu sein. Dazu vermittelte sie ihm mit Augen, Lippen und Körper, dass sie sich nach ihm verzehrte. Nur war alles falsch, genauso falsch wie sie. Und hier lag das Problem. Heute Abend sehnte sein Körper sich nach einer anderen Form von Befriedigung:
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