Die Nacht des Satyrs
auf dem Federbett tot war, aber nur Raine konnte überdies das gerinnende Blut riechen, das sich in ihrem Brustkorb sammelte, weil es nicht mehr vom Herzen durch die Adern gepumpt wurde. Und einzig er konnte den eklig süßen Todesgeruch wahrnehmen, vermischt mit den Düften von Seife, Parfum und Puder, die wie ein dichter Schleier über dem Zimmer hingen. Die Gerüche waren so überwältigend, dass ihm das Atmen schwerfiel.
Doch nirgends im Haus, auch nicht in diesem Zimmer, konnte er den Mann riechen, der ihn die ersten dreizehn Jahre aufgezogen hatte. Falls sein Erdenweltvater jemals in einem amourösen Verhältnis zu dieser Frau gestanden haben sollte, so hatten ihre Rendezvous nie in diesem Haus stattgefunden. Niemals.
Von Berufs wegen hatte der Constable sich in gewisser Weise an den Tod gewöhnt. Folglich schaute er sich eher interessiert in dem Raum um und schien weit perplexer ob des frivolen Dekors denn ob der Toten. »Das hier ist das Zimmer ihres Sohnes. Könnt Ihr Euch das vorstellen?«
Hinter ihm hielt Jordan hörbar die Luft an.
Die Zeit blieb stehen, eingefroren wie der Atem in Jordans Brust, während sie die Szenerie in ihrem Schlafgemach betrachtete. Ihre Mutter sah abnormal friedlich aus, wie sie dalag und sich ihr blondes Haar um die zarten Züge kräuselte.
Jordan kam es vor wie ein Bild aus Perraults Märchen vom Dornröschen – mit dem Unterschied, dass Celia nicht schlief.
Beinahe erwartete Jordan, dass ihre Mutter jeden Moment die blauen Augen aufschlug – diese strahlenden, immerfort nach männlicher Aufmerksamkeit heischenden Augen – und das vertraute frivol fröhliche Geplapper erklang.
Stattdessen blieben die Augen geschlossen, die Lippen blass und stumm. Regungslos lag sie auf Jordans Bettüberwurf.
Ätherisch schön wirkte sie, wie sie in einem ihrer Lieblingskostüme, einem langen, luftigen Kleid aus mehreren Schichten weißen Tülls, auf dem Bett ruhte. Es war das Gewand der Titania, Shakespeares Elfenkönigin. Weiße Flügel aus Federn des seltenen Albino-Pfaus von der Isola Bella ragten unter ihren Schultern hervor und überspannten die gesamte Breite des Bettes zu beiden Seiten von ihr. Die unteren Flügelspitzen reichten bis zu ihren Knien.
Eine Goldschnittausgabe von
Ein Mittsommernachtstraum
lag in der Beuge ihres angewinkelten Arms. Es war ein kostbarer Lederband, dessen Rücken vom vielen Blättern schon faltig war. Jordan hatte es geliebt, wie das Buch duftete und leise beim Aufschlagen raschelte. Jeden Abend hatte ihre Mutter ihr daraus vorgelesen, bis sie zu groß dafür gewesen war.
Jordan trat näher an das Bett. Am liebsten hätte sie ihre Mutter wach gerüttelt, und unwillkürlich streckte sie eine Hand nach ihr aus. »Mm …?«
»Ganz richtig: Mord«, erläuterte der Constable, der auf den Fersen wippte. »Ich glaube, dass Celia Cietta letzte Nacht ermordet wurde.«
Jordan erstarrte. Sie hatte ganz vergessen, dass er und Raine im Zimmer waren. Nun starrten beide Männer sie fragend an. Rasch zog sie ihre Hand zurück. Ihre panischen Gedanken überschlugen sich.
»M-Mord?« Jemand hatte ihre Mutter ermordet? Während Jordan die ganze Nacht Unzucht getrieben hatte, war ihre Mutter hier in ihrem Bett gestorben?
Um sie herum begann alles zu verschwimmen. Jordan griff sich an den Bauch und fühlte nur das steife Korsett unter ihrem Kleid. Sie konnte nicht atmen. Ihr ganzer Leib rang nach Luft.
Abrupt drehte sie sich um und rannte auf den Flur hinaus, dann die Treppe hinunter. Sie musste unbedingt an die frische Luft. Stolpernd griff sie nach dem Treppengeländer.
Die Zofe ihrer Mutter stand auf dem Treppenabsatz, auf halbem Weg nach oben. »Ist Euch nicht wohl, Signorina?« Mehrere andere Bedienstete warteten weiter unten in der Diele. Warum nannten sie Jordan Signorina? Erkannten sie sie denn nicht?
»Luft«, hauchte Jordan und drängte sich an ihnen vorbei. »Ich brauche Luft!«
Endlich war sie unten und eilte auf die Tür zu, die ihr meilenweit entfernt vorkam. Das Hauspersonal beobachtete sie teils neugierig, teils sorgenvoll, aber niemand schien sie zu kennen. Doch das war ihr gleich. Alles war ihr gleich.
Ihre Mutter, ihre wunderschöne, reizende, intrigante Mutter lag oben. Tot. Tot.
Tot
.
»Seid Ihr unwohl?« Raines Stimme drang wie aus einem tiefen Brunnen zu ihr.
Sie drehte sich mit großen Augen zu ihm um. »Mein Korsett«, japste sie und kratzte mit den Fingern an ihrer Taille. »Es ist zu …«
Und zum ersten Mal in ihrem
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