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Die Nacht des Satyrs

Die Nacht des Satyrs

Titel: Die Nacht des Satyrs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Amber
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weiterzufahren bedeutete, sie könnte weiterhin Frauenkleider tragen, Unterröcke, Korsetts und alberne Hüte. Sie könnte alles leben, was zum Weiblichsein gehörte, genau wie sie es sich immer erträumt hatte. Jedenfalls so lange, bis das Leben – oder der Tod – sie einholte.
    Sie atmete tief ein. »Also gut«, stimmte sie zu, »ich reise mit Euch in die Toskana – vorausgesetzt, wir kommen überein, dass ich frei bin, jederzeit von dort abzureisen, wenn es mir beliebt.«
    »Selbstredend«, bestätigte ihr Begleiter ohne Zögern.
    Warum hatte sie das Gefühl, dass er nicht ganz ehrlich war?

[home]
    15
    Weingut Satyr, Toskana, Italien,
September 1823
    R aines Zuhause war wie er, stellte Jordan fest, als sie es aus der Ferne vom Kutschenfenster betrachtete. Von außen schien es eine Ansammlung strenger, imposanter gothischer Türme mit stacheligen Spitzen aus finsterem grauen Stein zu sein. Hier und da von ein paar Fenstern oder Säulen aufgelockert, überblickte das Anwesen das gesamte umliegende Land.
    Ein hoher, stacheliger Zaun mit eng beieinanderstehenden Pfeilern umgab den Grund und verlieh ihm eine abweisende, feindselige Note. Passierte man die Eisentore mit dem vergoldeten » SV «-Wappen, ging es über einen geschlängelten Pfad mitten durch grüne, perfekt gestutzte Rasenflächen und nicht minder gestutzte Hecken sowie abgeschlossene Gärten weiter, die einem vornehmen Kloster würdig gewesen wären. Selbst die Pappeln und Ulmen marschierten in Reih und Glied, jede von ihnen säuberlich in Form geschnitten. Hier war alle Natur gezähmt und kontrolliert, als fürchtete ihr Meister, würde auch nur ein Blatt sich verirren oder ein Unkraut den Kopf recken, bräche die Hölle los. Jordan überkam sogleich der Wunsch, Wildblumensaat durch das offene Kutschenfenster fliegen zu lassen, einzig um Raines Ausdruck zu sehen, wenn sie im kommenden Frühjahr willkürlich austrieb! Aber wäre sie dann überhaupt noch hier, um es mitzuerleben?
    Die Kutsche fuhr in die Schleife einer geschwungenen Kopfsteinpflastereinfahrt, die um einen Brunnen herumführte, und hielt am oberen Bogen. Hier trafen sich im rechten Winkel drei Häuser, deren Winkelecken kaum Abstand ließen, so dass sie sich beinahe in eins fügten, wäre da nicht die Andeutung einer kleinen schmalen Hecke zwischen ihnen gewesen. Die Gebäude waren ihrerseits von einer weiteren Mauer umgeben, die – anders als die Außenmauern der Gutsgebäude – nicht von Efeu berankt war und demzufolge umso strenger und abweisender ins Auge stach, zumal sie mit einer vierten verbunden war, die das Quadrat schloss und zu einer undurchdringlichen Einheit verquicken ließ.
    Jordan öffnete die Kutschentür, als Raine gerade an ihrer Seite angekommen war. Er hatte den Großteil der Reise reitend zurückgelegt, so dass sie in der Kutsche ihren eigenen Gedanken nachhängen musste. Folglich konnte sie es nicht erwarten, von ihnen und der Kutsche erlöst zu werden und sich durch neue Eindrücke ablenken zu lassen.
    Welche sich auch sehr schnell einstellten, denn kaum dass sie angehalten hatten, war Raine auch schon an der Kutschentür, um ihr hinauszuhelfen. Wieder einmal bot er ihr vollendet seine Hand – eine Geste, die es wohl nie verfehlen würde, sie zu entzücken.
    Als sie ausstieg, stolperte sie beinahe über ihre Röcke. Sie war nicht gewohnt, von solchen Mengen Stoff umgeben zu sein, und vergaß bisweilen noch, dass sie sich nicht mehr so unkompliziert bewegen konnte wie in Hosen. Zum Glück war Raine da, um sie abzufangen.
    »Gütiger Himmel!«, stieß sie hervor, als sie über seine Schulter blickte. »Was ist das?«
    Sobald sie sicher stand, ließ er sie los, aber ihr entging nicht, dass ihre Frage ihm unangenehm war, auch wenn er sie erwartet zu haben schien.
    Unbeirrt ging Jordan auf das fragliche Objekt zu: einen phantastischen Springbrunnen am Rande des Innenhofs. In der Mitte ragte eine überlebensgroße Statue auf, die sie als Bacchus erkannte, den mythologischen Gott des Weines.
    Sein wirres Haar war von einem Kranz aus Trauben gekrönt, und seine Miene war lüstern, dämonisch fast, als er auf Jordan hinabschaute. Ein Schwarm geschmeidiger weiblicher Diener, die aus fein geädertem Carrara-Marmor gehauen waren, hofierten ihn, boten ihm Essen, Wein und ihre Körper an. Drei von ihnen hielten Kelche, aus denen funkelnd klares Wasser sprudelte und sich in ein flaches Bassin zu ihren Füßen ergoss.
    In einer Hand wog Bacchus die nackte Brust einer

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