Die Nacht des Schierlings
Brönner! Der Mann musste das doch erkennen und entscheiden. Höchste Zeit, dass einer an seine Stelle kam, der sich wirklich auf Gewalttaten und ihre Zeichen verstand, auf den ein pflichtbewusster Mann sich verlassen konnte.
«Weddemeister?» Claes Hermanns’ Stimme klang zögernd. Und fremd, für gewöhnlich sprach er ihn mit seinem Namen an, nannte ihn freundlich schlicht Wagner, aus seinem Mund klang das Wort «Weddemeister» nun vorsichtig. «Mir geht noch etwas durch den Kopf. Schon seit Tagen, ich habe es immer weggeschoben. Kann sein, dass es lächerlich ist.»
«Sicher nicht», sagte Anne. «Alles ist besser, als eine Frage immer im Kopf herumgehen zu lassen.» Sie hatte gedacht, sie kenne ihn so gut, wie man einander kennen könne. Seine Sorge, einer seiner Gedanken könne lächerlich wirken, besonders vor ihr, seiner liebenden Ehefrau, und dem in seiner Welt wenig zählenden Weddemeister, überraschte sie.
«Nun gut.» Claes lächelte sie dankbar an, als habe er auch ihre Gedanken gehört, und wandte sich wieder Wagner zu. «Nun gut. Ich habe mir überlegt, ob Hofmann gar nicht so betrunken war. Er hatte getrunken, kein Zweifel, er roch nach irgendetwas Alkoholischem, Genever vielleicht. Oder einem anderen Schnaps, eher einem dunkel gebrannten. Aber da war noch ein anderer Geruch, den ich nicht beschreiben kann, ich bin nicht gut in solchen Dingen, weil ich sonst nie auf so etwas achte.» Er überlegte einen Moment, weder Wagner noch Anne unterbrachen seine Gedanken. «Ich habe gerade versucht, mich an das zu erinnern, was ich gesehen habe. Ja, er ging seltsam. Er torkelte wie ein Betrunkener, aber – es sah auch anders aus. Irgendwie. Wie soll ich das nur beschreiben? Noch kraftloser, schleifender. Ich weiß es nicht. Irgendetwas erscheint mir jedenfalls – nachdenkenswert.»
Er schwieg, Wagner wartete, dass er fortfuhr, und Anne, die ihn eben doch am besten kannte, sagte: «Da ist noch etwas, nicht wahr? Was ist es, Claes?»
«Ja», gestand er zögernd zu. «Ich möchte aber niemandem Schwierigkeiten machen. Nicht noch mehr. Ich weiß, Wagner, solche Bedenken können Euch nicht gefallen. Also gut. Ich denke, er hatte vielleicht etwas gegessen, das ihm nicht bekommen ist. Das passiert doch oft. Ich denke an verdorbenes Fleisch, daran ist schon mancher gestorben. Oder an Pilze. Deren Zeit ist zwar so gut wie vorbei, dennoch habe ich erst kürzlich gehört, dass jemand Steinpilze mit Satanspilzen verwechselt hat. Was üble Folgen hatte.»
Über Wagners Nasenwurzel wuchs eine scharfe Falte. «Satanspilze sind bei uns selten, aber so eine Vergiftung kommt vor. Ja, hin und wieder. Das ist immer noch besser als das Verwechseln von Champignons mit Knollenblätterpilzen, die sind in der Tat tödlich, die Knollenblätterpilze, meine ich, zudem völlig ohne verräterischen bitteren Geschmack. Ihre Zeit ist jetzt im Oktober aber längst vorbei. Und Satanspilze? Die verursachen nur Leibschmerzen, Übelkeit, Krämpfe, ja, und», er räusperte sich schenant, «Pardon, Madam Herrmanns, und langen Aufenthalt auf dem Abort.»
Dies wusste Wagner leider aus eigener Erfahrung, er fand es überflüssig, das zu erwähnen.
«Das kann doch sein.» Claes Herrmanns klang erleichtert, beinahe froh. «Das kann sogar sehr gut sein. Krämpfe, Koliken gar, schwächen ungemein.»
Leider teilte niemand seine Freude. Anne blickte skeptisch, was er nicht verstand, vor dem Weddemeister wollte er nicht nach dem Grund fragen. Wagner blickte auf diese Weise, auf die er oft blickte, nämlich ohne jeden Ausdruck. Niemand konnte – und sollte – erkennen, was er dachte. In diesem Moment war es nur Erleichterung, allerdings aus anderem Grund als bei Claes Herrmanns. Wagner glaubte nicht an dessen Erklärung für Hofmanns seltsamen Gang, er glaubte, der zukünftige Senator denke so, um sich nicht an dem Tod des Konditors beteiligt zu fühlen.
Aber WENN es so war, wenn Hofmann etwas Verdorbenes, sogar tödlich Verdorbenes gegessen hatte, hatte er es wenigstens nicht im Bremer Schlüssel getan. Dort war er an jenem Abend nicht mehr über die Schwelle gekommen. Jakobsen konnte sich glücklich schätzen. Und Wagner auch. Ein Mitglied der Becker’schen Komödiantengesellschaft und Claes Herrmanns als Verdächtige in einem Todesfall waren genug. Jakobsen, noch ein Freund, das wäre wirklich zu viel!
Wagner fand es lästig, weil es so zeitraubend war, doch er musste nun auch diesem Gedanken folgen. Schon bei seinem zweiten Besuch bei den
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