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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Haus nahe Wandsbek. Sie habe stets zahlreiche anspruchsvolle Gäste, hatte sie gesagt und dazu gelächelt. Wie Molly fand, recht maliziös, doch das war sicher ein Irrtum. Wenn Madam Junius sich für ihr Konfekt entschied – bei dem Gedanken klopfte Mollys Herz schneller –, hatte sie schon mehr als halb gewonnen.
    Ach, und die Morsellen! Fast hätte sie auch die vergessen, aber die waren im Vergleich zum anderen Konfekt, zu dem mit Marzipan, Schokoladenpulver, verschieden karamellisierten Zuckern, recht einfach zu machen, vielleicht schaffte Sven das schon, für einen Lehrjungen war er wirklich geschickt.
    «Molly, kommst du mal, bitte?» Klärchens Stimme aus dem Laden klang ein bisschen gepresst. «Er ist wieder da, vielleicht kennst du ihn.»
    Molly seufzte, sie konnte ihre Zuckermasse nun wirklich nicht stehenlassen. Also nahm sie die Schüssel in den Arm und knetete mit der anderen Hand weiter, nur mit halbem Tempo, aber der Zucker blieb so doch geschmeidig. Sie trat durch die wie meistens halboffene Doppeltür in den Laden, nur einen halben Schritt, sie wollte den Gaffer sehen, bevor ihr Auftauchen ihn womöglich verscheuchte.
    In den ersten Tagen nach Bruno Hofmanns Tod hatten sich alle möglichen Leute hier herumgetrieben und auch versucht, durch das Fenster in den Laden zu sehen, einen Blick auf trauernde Hinterbliebene eines Ermordeten zu werfen. Als der Klatsch sich ausbreitete – auch bei Molly war die Geschichte von ihrer angeblichen Liaison mit Monsieur Herrmanns angekommen –, war der nächste Schwung Gaffer angerückt, aber bald wieder weggeblieben. Wer Molly kannte, mochte das nicht glauben, dem Herrmanns traute man das sofort zu, reiche Männer waren eben so, das wunderte niemand, aber Molly? Trotzdem waberte das Geflüster natürlich immer noch herum, so schnell verkümmerte üble Nachrede nicht. Und als Klärchen berichtete, heute Morgen habe wieder einer vor dem Fenster gestanden und versucht hereinzusehen, hatte sie um Nachricht gebeten.
    «Da ist er, siehst du ihn?», flüsterte Klärchen. «Um besser zu sehen, hat er eben sogar die Hände an die Scheibe gelegt. Warum kommt er nicht rein und kauft eine Kleinigkeit? Verstehst du das?»
    «Vielleicht hat er überhaupt kein Geld.» Auch wenn Molly sein Gesicht nur noch im Halbprofil sehen konnte, den kräftigen und doch geschmeidigen Körper, das dunkelrote Haar hatte sie gleich erkannt. «Ich weiß, wer er ist. Er ist ein Akrobat und gehört zu der Gesellschaft, die das kleine Komödienhaus im Dragonerstall gemietet hat. Madam Vinstedt kennt ihn gut.»
    Klärchen sah sie fragend an.
    «Madam Vinstedt, ja. Vielleicht kennst du sie nicht, sie kauft hin und wieder Konfekt und ist eine Freundin der Herrmanns. Dort habe ich sie im Frühjahr zuerst getroffen. Sie war bis vor wenigen Jahren selbst Komödiantin.»
    «Und ist jetzt wirklich eine Freundin der Herrmanns!?» Klärchen machte große Augen.
    «Sogar schon seit etlichen Jahren. Sie ist nett. Außerdem – ach, das ist eine lange Geschichte, die erzähle ich dir ein andermal. Jetzt wird gerade mein Zuckerteig hart. Und der da draußen? Ich nehme an, er sucht seine Freundin. War vorhin nicht ein sehr schlankes Mädchen hier? Seidiges schwarzes Haar, das Dekolleté großzügig, der Rock ein bisschen zu kurz, ein Hauch Rouge auf den Wangen?»
    «Ja, genau so.»
    Plötzlich drehte sich Muto, der Akrobat der Becker’schen Gesellschaft, wie Molly richtig erkannt hatte, um und glitt geschmeidig wie eine Katze hinter eine der Linden, dann war er plötzlich ganz verschwunden.
    Molly und Klärchen sahen einander verblüfft an.
    «Ein Akrobat eben», sagte Molly lächelnd.
    «Woher kennst du ihn?»
    «Ich kenne ihn nicht, ich habe ihn nur auf dem Gänsemarkt bei einer Straßenvorführung mit seiner Dame gesehen, der Tänzerin, und Momme Drifting hat mir gesagt, wer die beiden sind. Momme war ganz hingerissen. Von ihrer Kunst, sagte er. Ich glaube eher, von ihren Beinen. Er lobte auch ihr Gewand, ihren flitterbunten Rock, ‹so recht nach der Natur›, hat er gesagt. Oder so ähnlich. Er wurde puterrot.»
    Klärchen kicherte, dann rückte sie rasch ihre Haube zurecht, weil sich die Tür öffnete, Kundschaft erwartete gute Ordnung. Es war nur Ludwig. Er hatte einen mittelgroßen Sack Mandeln auf der Schulter und sah müde und grimmig aus.
    «Der Drifting», sagte er und ließ den Sack neben dem Verkaufstisch von der Schulter gleiten, «ja, Momme Drifting ist tot. Das hab ich gerade gehört.»
    Molly

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