Die Nacht des Schierlings
und Klärchen standen wie erstarrt. «Aber wieso», flüsterte Klärchen, «warum?»
«Tja», Ludwig klopfte sich den Mandelstaub von der Joppe, «das wird jetzt wohl üblich hier. Da hat einer nachgeholfen. Wie bei unserem Meister. Den Momme hat auch einer ermordet. Wenn stimmt, was ich gehört hab, mit Gift.»
Es gab einen dumpfen Knall, als die Mollys Arm entglittene Schüssel mit dem Zuckerteig auf den Fliesen aufschlug und in tausend Stücke zerbrach.
S ie fassten Muto, als der Tag sich schon neigte. Er hatte sich in die Menge eingereiht, die durch das Millerntor hinaus Richtung Hamburger Berg und Altona wollte. Sein Passpapier steckte in seiner Rocktasche, für Fahrende, denen von jeher aller Argwohn der Sesshaften gehörte, war es gut, es immer griffbereit zu haben. Die Wachsoldaten, die ihn aus der Menge zerrten und in die Torstube brachten, mussten dieses Papier nicht sehen, der Sergeant hatte Muto gleich erkannt. Weniger, weil er die Beschreibung gehabt hatte, sondern weil er ihm mehr als einmal bei seiner Kunst zugesehen hatte und sehr beeindruckt gewesen war, besonders von der Eleganz, die man bei solchen Akrobaten nicht erwartete oder oft sah. Gewöhnlich erlebte man den allseits beliebten Starken Mann, der wahrhaftig stark war, ein Kraftprotz wie ein Bär, nicht wie ein Tänzer.
Seit dem Nachmittag wurde an allen Toren nach Muto Ausschau gehalten. Sie hatten zuerst im Haus der Krögerin gefragt, sich beim Dragonerstall herumgedrückt, um zu sehen, ob er dort sei oder sich gar verberge. Sie hatten die Komödianten in Aufruhr versetzt, besonders eine füllige, nicht mehr junge Frau mit kastanienrotem Haar. Von den anderen, die versucht hatten, sie zu beruhigen, sonst lande sie nur in der Fronerei, was Muto nicht helfe, wurde sie Helena genannt. Alle behaupteten, nicht zu wissen, wo der Akrobat sich verberge, sie hatten ihn zuletzt am Vormittag gesehen, als er in die Stadt gegangen sei, etwas zu besorgen, wahrscheinlich mit Mademoiselle Florinde, der Soubrette der Gesellschaft. Die sei auch noch nicht zurück.
«Besorgen, aha. Was? Wo?»
Das wusste niemand.
«Lotterleben», hatte einer der vier für diesen Auftrag abgestellten Soldaten resümiert, als sie wieder abmarschierten. «Arbeiten nur, wenn sie Lust dazu haben, und das ist selten, wissen nichts voneinander und dann ehrbare Gesellen vergiften.»
«Noch dazu Meister!», fügte der zweite hinzu. Der dritte schwieg, er hatte keine Meinung, wenn die anderen beiden ihre schon kundgetan hatten. Der vierte Soldat sagte auch nichts, bei ihm lag es aber in seiner Natur, er war ein Bauernsohn aus Angeln, und echte Angeliter reden ungern.
Dass die Soldaten der Stadtgarnison nach Muto suchten, war nichts Besonderes, es gehörte zu ihren Aufgaben, dass Wagner die von ihm einer Untat Verdächtigten für gewöhnlich lieber selbst fand und festsetzte, war seine Angelegenheit, dass er es in diesem Fall nicht tat, auch. An allen Toren der Stadt war die Order angekommen, auf den Akrobaten namens Muto Grimme zu achten und ihn festzusetzen, möglichst ohne Aufsehen. Die Beschreibung war beigegeben.
Der Aufruhr unter den Leuten am Tor, die zu Fuß oder zu Pferd, mit ihren Fuhrwerken, Karren oder Kutschen auf beiden Seiten des Tores auf Durchlass warteten, hielt sich in Grenzen, als einer aus der Menge gezerrt und abgeführt wurde. Sie kannten ihn nicht, er war keiner von ihnen, alle hatten es eilig, damit ihnen die Brücke nicht vor der Nase hochgezogen wurde, um sie nur noch nach Zahlung der Sondergebühr durchzulassen. Zu den wenigen, die um diese Stunde allgemeiner Hektik müßig auf dem Wall standen und auf das Tor mit seinen langen Durchlassstationen hinuntersahen, gehört Claes Herrmanns.
Er hatte einen ungewöhnlichen, ja, einen überaus befremdlichen Tag verbracht, er war müde und hellwach zugleich, seine Füße schmerzten von dem ungewohnten vielen Gehen, sein Kopf war seltsam leicht. Er hatte erlebt, wie Männer, die er lange kannte und die in seinem Haus zu Gast gewesen waren, die ihn an der Börse als Freund und Handelspartner freudig begrüßten, bei unverhofften Begegnungen auf eine nette kleine Unterhaltung stehen blieben, wie diese Männer heute mit kurzem Nicken und eingefrorenem Lächeln vorbeihasteten oder vorgaben, ihn nicht gesehen zu haben, und rasch in die nächste Gasse einbogen, in einem Laden verschwanden oder die Seite wechselten. Andere, die er nicht kannte, die nicht zu seinem Stand gehörten, waren stehen geblieben und
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