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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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durfte. So ’n Silberding konnte jeder verloren haben, der reich genug war, eins zu besitzen.
    Er nahm den Knopf mit zu seinem Bett und steckte ihn unter das Strohpolster. Dort würde Sina so schnell nicht nachsehen, sie hatte das Bettzeug erst vor wenigen Tagen gelüftet und gewendet, und er konnte in Ruhe überlegen, was richtig war. Drüber schlafen, wie man so sagte.
    Und genau das tat er. Er fühlte sich hellwach, doch kaum hatte sein Kopf das Polster berührt, schlief er schon. Fest und tief. Eben wie ein Bär im Winter.
     
    N ormalerweise hätte Wagner sich um diese Stunde auf den kurzen Weg zu seiner Wohnung am Plan gemacht, wo gewöhnlich Karla mit dem Essen auf ihn wartete, und war es auch nur ein kalter Imbiss wie ein Stück Speck und schwarzes Brot. Dass es heute anders war, kam ihm recht, denn die Begegnung mit Dr.   Brönner und Bruno Hofmanns Leiche hatten ihm den Appetit verdorben. Seine Wohnung war verwaist, seit seine Frau auf dem Landsitz eines wohlhabenden Weinhändlers mit zwei Näherinnen letzte Hand an die Ausstattung für die Hochzeit der ältesten Tochter legte. Karla sollte drei Wochen dort bleiben, Wagner war strikt dagegen gewesen, aber er hatte der erstaunlichen Überzeugungskraft seiner sanften Frau noch nie lange zu widerstehen vermocht. Zudem war es eine Ehre, eine Anerkennung ihrer filigranen Weißstickereien und wurde gut bezahlt, was selten zusammentraf. Die reine Luft und das deftige Essen auf dem Land würden ihr guttun, auch das bessere Wasser. Denn vielleicht, so hatte jedenfalls die alte Hebamme Matti vermutet, war das Wasser schuld daran gewesen, dass Karla das erste Kind nicht hatte austragen können. Diesmal sollte das Kind gesund geboren werden. Und Karla die Schwangerschaft und die Geburt gesund überstehen. Noch nie hatte Wagner so viel und so inbrünstig gebetet wie in diesen Wochen, seit er wusste, dass seine Frau, dieses zarte Lämmchen, wieder guter Hoffnung war. Kaum ein Tag verging, an dem er nicht für einige Minuten in der Johanniskirche kniete, in der sie auch getraut worden waren.
    Also machte er sich auf den Weg zum Rödingsmarkt. Er kannte die Stadt wie den Inhalt seiner Rocktaschen, sogar die meisten der verwinkelten, schon für einen zweirädrigen Karren zu engen Gassen waren ihm vertraut genug, um sich darin zurechtzufinden. So lief er nach der Überquerung der Trostbrücke beim Rathaus und des Hopfenmarktes bei St. Nikolai weiter durch Gassen und schmale Durchgänge, ohne darauf zu achten. Er grüßte nicht wie sonst nach links und rechts, sondern marschierte mit grimmigem Gesicht immer voran.
    Da war etwas an diesem Stadtphysikus, das ihm stets auf den Magen schlug. Er hatte nichts gegen Ärzte, einen durfte er sogar zu seinen Freunden zählen. Aber Brönner? Dass der ein Wichtigtuer war, zeigte schon die Perücke. Wagner hatte ihn noch nie ohne gesehen, selbst wenn kein Publikum seine Arbeit mit den Leichen beobachtete. Leider trug er dann stets ein altes Ding, aus dem beständig alte Puderreste und Haare herunterrieselten. Wahrscheinlich war der Arzt darunter völlig kahl. Oder er wollte seine Läuse hübsch warm halten.
    Es war nicht nur diese Mischung aus Verächtlichkeit und Generosität, mit der er dem Weddemeister zeigte, wie weit der unter ihm stand. Es war – Wagner konnte es nicht benennen. Letztlich ärgerte ihn die Nachlässigkeit, mit der dieser Kerl sein Amt versah und es zugleich geschickt verstand, sich als emsiger, der Obrigkeit, den Bürgern wie dem übrigen Volk verpflichteter Mann zu zeigen. Das reichte, ihn zu verabscheuen. Ein großes, aber genau passendes Wort.
    Und wie überaus geschickt er agierte! Erst die Verletzung im Nacken des Leichnams als unbedeutend deklarieren und endlich den Weddemeister auffordern, sich dennoch darum zu kümmern. Wenn Wagner damit nur Zeit verschwendete oder einen ehrbaren Meister durch Nachforschungen in Verruf zu bringen drohte, konnte Brönner seine Hände in Unschuld waschen und erklären, er habe dazu keinerlei Anlass gegeben. Wenn Wagner hingegen etwas herausfand, das den Tod des Konditors im Licht eines Verbrechens zeigte, würde Brönner geschickt lancieren, einzig seine sorgfältige Arbeitsweise habe den Weddemeister auf diese Spur geschickt.
    So oder so – irgendetwas, genauer: Irgend wer hatte Bruno Hofmann verletzt. Die Verletzung hatte nicht so ausgesehen, als habe sie zum Tod führen können, da war die Sache mit dem Schlick schon einleuchtend genug. Es war ein ordentlicher Kratzer,

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