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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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und Ellbogen aufgeschlagen hat und Trost und Sicherheit sucht. Aber Magnus war nicht hier, er war längst im Theater.
    Und Pauline? Würde sie Pauline erzählen, was sie gerade gehört hatte? Sicher, im Überschwang der Gefühle. So war es gut, dass sie nicht hier war. Was Rosina auf dem Markt gehört hatte, war nichts, was unüberlegt weitererzählt werden sollte. Auch nicht der Frau, die zu ihrem Familienkreis gehörte, aber doch nur als ihre Wirtschafterin.
    Rosina trank in der Küche einen Becher Milch, immer ein gutes Mittel, ruhiger zu werden, und machte sich wieder auf den Weg. Sie wollte dort sein, wohin sie gehörte: bei Magnus und den Becker’schen Komödianten. Mochten sie in dieser Stadt doch reden, was sie wollten, es konnte ihr einerlei sein. Sie brauchte sie alle nicht, sie hatte immer noch ihre eigene Welt, in der war sie aufgehoben. Und beschützt. Sie wollte zu ihrem Mann und hören, dass er ihr vertraute. Mehr noch, sie wollte in seinen Augen sehen, dass es tatsächlich so war. Das bedeutete mehr als alle schönen Worte, denn darauf hatte sie sich von Anfang an verlassen können: Mochte Magnus sich auch gut auf liebevolle Schmeicheleien und Komplimente verstehen, wenn es ernst wurde, sagte er, was er dachte. Wäre es anders, könnte sie nicht mit ihm leben. Die Vergangenheit hatte sie Misstrauen gelehrt, aber ebenso zu spüren, wem sie vertrauen konnte. So hoffte sie.
    Im Treppenhaus kam ihr Madam Hopperbeck entgegen und schleppte, wie vor wenigen Minuten noch sie selbst, einen schweren Korb die Treppe hinauf. Sie lächelte breit – ein falsches Lächeln, so befand Rosina.
    «Ach je», schnaufte die für ihr Leben gern schwatzende Nachbarin, von Magnus deshalb gerne als Madam Plapperbeck bezeichnet, als Rosina sich nur kurz nickend an ihr vorbeischob, «auf dem Hopfenmarkt trifft sich mal wieder die ganze Stadt. Und jeder will was erzählen. Es ist eine Schande. Wie soll eine tüchtige Hausfrau da noch ihr Tagwerk erledigen? Aber Madam Rosina? Seid Ihr auch wohl?»
    Rosina rannte. Sie nahm sich nicht einmal die Zeit, etwas Beruhigendes zurückzurufen. «Jeder will was erzählen …» Was hatte die Hopperbeck damit sagen wollen? Hatte sie gehört, was sie selbst gehört hatte? War ihre Freundlichkeit nichts als Theater, eine falsche Pose?
    Auf der Holzbrücke über das Nikolaifleet blieb sie stehen, hier begann schon das Markttreiben – der Platz bei der Kirche selbst war längst zu klein für all die Buden und Stände, die waren auch in den einmündenden Straßen und nahen Höfen aufgebaut. Wenn sie nun auf dem direkten Weg zum Dragonerstall-Theater weiterging, musste sie noch einmal den Markt passieren, wenn sie wieder solches Geflüster hörte, wenn man sie verstohlen anstarrte, wenn …
    Plötzlich war es, als höre sie sich selbst zu. War sie ein so zitterndes Hasenherz geworden? Hatten die sicheren Mauern sie so korrupt gemacht, dass sie sich versteckte?
    Wer Rosina nun beobachtete, erlebte eine erstaunliche Veränderung. Wo ihre Augen gerade noch gehetzt blickten, die Schultern hochgezogen und die Fäuste geballt waren, lief es nun wie eine Welle kleiner Bewegungen durch ihren Körper. Ihre Schultern senkten, die Hände öffneten sich, der Mund wurde wieder weich. Sogar der Ausdruck der Augen, die ja am wenigsten zu lügen verstehen, veränderte sich: Ihr Blick wurde ruhig und entschlossen.
    Wie konnte sie sich nur von zwei dummen Klatschweibern und ihren üblen Ideen ins Bockshorn jagen lassen! Selbst wenn auch andere so sprachen, wenn dieses üble Gerede in der Stadt kursierte – na und? Es ging immer irgendein boshafter Klatsch herum, nicht nur über Wanderkomödiantinnen, die von den guten Bürgern gerne alle über einen Kamm geschoren und mit Huren verwechselt wurden. Am besten begegnete man dem Geschwätz, indem man so blieb, wie man war, indem man tat, was man auch sonst tat. Und genau das würde sie nun tun.
    Ein Gefühl der Leichtigkeit, geradezu des Übermuts, gab ihr frischen Schwung, sie atmete noch einmal tief, zauberte ein unbefangen leichtes Lächeln in ihr Gesicht, zog das verrutschte Schultertuch zurecht, das Brusttuch ein bisschen tiefer (wer wollte behaupten, eine gute Prise Trotz gehöre nicht zu ihr?) und ging munter ausschreitend – keinesfalls eilend! – mitten hinein in den Markttrubel.
     
    W ährend Rosina sich bei einer harmlosen Beschäftigung wie dem Kauf von Würstchen auf französische Art nur zufällig mit der befremdlichen Meinung anderer Leute über

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