Die Nacht des schwarzen Zaubers
fällte unterdessen im Inneren der Insel besonders dicke und ebenmäßig gewachsene Palmen, gedacht für die Eckpfosten des neuen Hauses, für die Deckenbalken und die Verstrebungen der Außenwände. Die Frauen hockten in Gruppen vor den buntbemalten Häusern des Dorfes und flochten Matten aus Palmstroh oder schabten die Rinde von den Stämmen.
Das erste Materialschiff war eine Woche später angekommen. Es hatte zwei automatische Sägen mitgebracht, einen Stromerzeuger, benzingetrieben, Fässer voller Sprit, zwei Werktische, Schraubstöcke, Werkzeuge aller Art, einen stabilen Flaschenzug, sogar eine Betonmischmaschine mit Handbetrieb, aber keinen Zement. Dafür war eine Sendung Kunststoffrohre mitgekommen, in den verschiedensten Durchmessern – vom Kanalrohr bis zur Wasserleitung und den Leerrohren für elektrische Kabel.
Dr. Rank besichtigte das alles, blies einen Tusch auf der Trompete und sagte: »Ungeheuerlich, was die Zivilisation so alles an Land wirft. Ein Scheißbecken mit Wasserspülung, Alex, wenn Sie das anschließen, können Sie reich werden, indem Sie es vermieten. Das wird hier ein Wunder sein. Man setzt sich drauf, protzt ab, drückt auf einen Knopf, Wasser rauscht, und alles ist wie weggezaubert. Das wird dem Medizinmann Tomamai an die Nieren gehen, so was kann er noch nicht! Pro Schiß ein Pfund Kopra! Sie können ohne eigene Mühe der größte Kopraexporteur von Aimée werden!« Er lachte, betrachtete die Mischmaschine und hatte dann noch eine Idee. »Sie wollen das Ding doch wohl nicht am Bau einsetzen, Alex?«
»Sobald mit der zweiten Lieferung der Zement kommt, sicherlich.«
»Nicht doch!«
»Dafür ist eine Mischmaschine da. Oder wissen Sie was Besseres, Doktor?«
»Aber ja!« Dr. Rank steckte den Kopf in die Trommel, begutachtete das Rührwerk und zog den Schädel dann wieder zurück. »Das stiften wir dem Dorf als Kochkessel! Stellen Sie sich vor, wenn darin an Festtagen die Fleischsuppe gerührt wird. Die Befeuerung werde ich noch konstruieren. Es genügt eine ans Gestänge geschweißte Wanne für das brennende Holz. Was halten Sie davon, Alex?«
»Genial, Doktor.«
»Nennen Sie mich Charlie.«
»Ich denke, Sie heißen Vince?«
»Alle nennen mich Charlie … wegen meines watschelnden Ganges, der an Charlie Chaplin erinnert. Zehn Jahre habe ich mich darüber aufgeregt – bis zum Pulsschlag zweihundert! Dann habe ich es aufgegeben, und heute, als alter Mann, ist's fast ein Ehrenname. Also Charlie.«
»Gut, Charlie.« Baumann sah den Doktor wirklich wie Chaplin zu Balolonga watscheln, um ihm die neueste Errungenschaft der Zivilisation näherzubringen: Einen großen Kochkessel, den ein Mann drehen kann und der die Suppe schön rundum verteilt, viel besser als durch das Rühren mit den geschnitzten Holzlöffeln.
Er hat wirklich etwas von Chaplin, dachte Baumann und blickte Dr. Rank nach. Das ist sie, die Tragikomik eines Menschen, der seine Mitmenschen liebt, die aber verstehen ihn nicht. Ist er deshalb zum Säufer geworden?
Über den Fall Bob Skey sprach man nicht mehr. Er war am Morgen mit seinem Motorboot verschwunden und bis heute nicht wieder aufgetaucht. Dr. Rank hatte Hansens aufgeschlagene Fingerknöchel mit Heilsalbe behandelt, und Claudia trug noch zwei Wochen lang blutige Striemen in ihrem schönen Gesicht. »So ein Saukerl!« hatte Baumann gesagt. »Ich danke dir, Titus. Ich hätte es nicht anders gemacht.«
Volker hatte in diesen drei Wochen eine Verwandlung durchgemacht. Seine Blässe, diese porzellanhafte Durchsichtigkeit seiner Haut, war von einer gesunden Bräune überdeckt. Er schien kräftiger zu werden, sein Gang war wie früher forsch, und seine Stimme, ein wenig krächzend durch den Stimmbruch, klang plötzlich fest und voll. Aber das täuschte, auch wenn Baumann zu Marga sagte: »Sieh dir den Jungen an. Er blüht auf. Ob das die Seeluft ist? Auch das Fieber ist weg. Wie weggeblasen.«
Eine verzweifelte Hoffnung lag in diesen Worten. Sie klammerten sich daran und wußten nicht, daß es die Tücke der Leukämie ist, den Kranken und seine Umwelt zu täuschen. Der Mediziner nennt es hart eine Phase der Remission und wartet dann noch kritischer auf den neuen, garantiert einsetzenden Schub. Und mit jedem neuen Schub geht ein Stück Widerstand dem Körper verloren. Trotz Bluttransfusion, trotz Chemotherapeutika, trotz Antibiotika. Es ist ein langsames Sterben, dem Verlöschen einer Kerze gleich, der man den Sauerstoff entzieht.
In der vierten Woche passierte es.
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