Die Nacht des Ta-Urt (German Edition)
dass hinter ihm stand, verschwand und wiederkam. Er sah den Alten an und wollte ihm zu schreien:
"Hol mich aus dieser verdammten Starre raus, Lederstrumpf oder ich röste deine Eier hier im Wald und gebe sie diesen verfluchten Kobolden zu essen."
Aber es kam kein Wort aus ihm heraus. Er konnte nur wütend mit den Augen rollen.
Und plötzlich wurde das Gesicht des Alten größer, als zoomte ein unbekannter Kameramann es ganz nah an Volkmar heran. Sein Ledergesicht wurde größer und seine lachenden Augen strahlten Volkmar an. Seine Lippen formten ein Wort, das Volkmar verstand.
"Trickser."
***
So hatte er gelernt, dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gab, die weit über das hinausgingen, was er im Heimatkundeunterricht gelernt hatte. Dieser Trickser, oder diese Trickser, je nachdem, ob man sie als einen oder zwei betrachtete, waren verdammt noch Mal so echt gewesen wie die Badewanne, in der er jetzt gerade lag. Und der Ledermann hatte sie gerufen. Er hatte ihn mit diesem Pulver in eine Starre versetzt, damit er sich nicht umsehen konnte.
Jetzt musste er unwillkürlich an dieses Kinderspiel denken: Wer sich umdreht oder lacht, kriegt den Buckel vollgemacht.
Hatten sie nicht damals, als Kinder, schon gewußt , dass man sich nicht nach dem Schrecklichen umdrehte? Was war mit Lots Weib in der Bibel geschehen, als sie sich nach dem untergehenden Sodom umdrehte? Sie war zur Salzsäule erstarrt. Was wäre geschehen, wenn er oder der Alte sich umgedreht hätten? Aber warum durften sie dann den Trickser hinter dem Rücken des Anderen sehen?
Wo man selbst steht, kann man nicht hingucken?
Auf jeden Fall hatte der Alte, nachdem der Trickser verschwunden war, ein weiteres Pulver aus seiner Jacke geholt, und tatsächlich, kurz darauf war Volkmar aus seiner Bewegungslosigkeit erwacht, und nachdem er seine steifen Muskeln wieder bewegen konnte, waren sie aus dem Wald verschwunden. Der Alte immer noch plappernd, glücklich über die gelungene Begegnung.
Volkmar war neben ihm hergestapft . Er sah sich nicht einmal um.
Lots Weib war ihm durch den Kopf gegangen.
Aber die Neugier auf Sodom war geweckt.
***
Das Wasser wurde kalt und der Drink war leer. Bald müsste er raus und nachsehen, was die Figuren in dem Spiel machten, das er seit Jahren vorbereitete, und das nun endlich eine gewisse Eigendynamik entwickelte. Er müsste nachsehen, was Elaine trieb, ob es ihm nicht heute gelingen würde, ihre Mauer zu durchbrechen, oder wenigstens durch geschickte Fragen herauszubekommen, was sie inzwischen erfahren hatte.
Der Gedanke verärgerte ihn. Er war es bald leid den netten Onkel zu spielen für eine Frau, die er am Ende doch nur umbringen würde. Aber er musste vorsichtig sein. Noch verstand er selbst nicht alles.
Noch einmal ließ er heißes Wasser nachlaufen, fischte sich die Flasche vom Jugendstiel-Beistelltischchen und gönnte sich noch ein wenig Ruhe.
Ruhe vor dem Sturm.
***
Sein Erlebnis mit dem Trickser damals hatte ihn inspiriert. Er begann, sich mit den mystischen Hintergründen der Nazizeit zu beschäftigen. Bisher hatte ihn am Faschismus nur die Provokation gereizt, aber er hatte dabei gelernt, dass die Macht auf dem Bösen beruhte.
Nur, wer das Böse kontrollieren konnte, hatte die Macht.
Er suchte einen Kameraden, Gunther Walfried, in Narvik auf. Von Walfried wusste er, dass der weniger borniert als die Mitglieder der Bewegung in Deutschland war. Walfried war ein Intellektueller. Er überließ Volkmar Kopien der berüchtigten Ostara -Hefte, die seinerzeit von dem Wiener Esoteriker Josef Lanz, der 1899 den Orden des Neuen Tempels gegründet hatte, herausgegeben wurden. Dieser Lanz hatte sich für einen Kenner nordischer Kultur gehalten und sich in seinen Heften lang und breit auch über die Wurzeln des Schamanismus und dessen Fortleben im faschistischen Führerkult ausgelassen. Aber der junge Volkmar hatte schnell erkannt, dass Lanz' Verdienst weniger in der Ansammlung kruder Halbwahrheiten bestand, von denen sich auch der dumme aber gefährliche Hitler hatte inspirieren lassen, als vielmehr in der gründlichen Auflistung schriftlicher Quellen, die einen faszinierenden Blick in die magischen Praktiken der frühen Völker boten.
Aus diesen Quellen erfuhr Volkmar von der Macht der apokalyptischen Visionen der Christen, Juden, Mesopotamier, Inder und Ägypter, die in ihren Mythen alle eine spezifische Ausformung des 'Kosmischen Krieges' betrieben hatten. Er erfuhr, dass es Teilen
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