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Die Nacht des Ta-Urt (German Edition)

Die Nacht des Ta-Urt (German Edition)

Titel: Die Nacht des Ta-Urt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Bödeker
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rutschte an ihr hinunter. Sie trampelte mit den Füßen wild um sich, schlug mit den Händen gegen die Wand und schrie sich die Seele aus dem Leib.
    Sie war sich ganz sicher, dass ihr mit dem nächsten Schrei das Herz aus der Brust platzen würde.
    Sie musste sich wieder unter Kontrolle bekommen. Das waren doch nur große Mäuse, nur Mäuse, die zufällig Ratten hießen.
    Der Hammer in ihrer Brust beruhigte sich langsam wieder zu einer geringeren Schlagzahl, sie spürte Tränen die Wangen hinunter rinnen und schluchzte. Nie wieder würde sie hier heraus kommen. War sie schon Stunden hier, oder waren es erst einige Minuten, seit das Licht ausgegangen war? Sie wusste es nicht. Ihren Blick hielt sie starr auf den Streifen Licht einige Meter vor sich gerichtet.
    Wenn dieses Licht jetzt ausginge, dachte sie, würde sie im selben Moment komplett des Verstand verlieren. Sie würde einfach innerlich auseinanderbrechen.
    Sie kicherte.
    Jetzt war es aber genug. Stoßweise atmete sie aus und ein um sich wieder zu beruhigen.
    Das Messer. Sie musste es finden, sonst war sie verloren. Dass sie eigentlich nur bis zum nächsten Morgen warten brauchte damit der Tagesbetrieb des Gebäudes sie aus ihrer Lage befreite, hatte sie vollständig vergessen. Sie wusste auch nicht mehr, warum sie überhaupt hierher gekommen war, dass sie ja den Weg in den Keller noch vor sich hatte.
    Nichts wusste sie in diesen Augenblicken.
    Die Dunkelheit hatte eine eigene Zeit um sie herum erschaffen,   und diese Zeit hieß Ewigkeit.
    Sie robbte über den Boden, links und rechts nach dem verlorenen Messer tastend. Jeden Moment erwartete sie einen weiteren Biß . Die Tränen liefen ihr das Gesicht hinunter.
    Sie war wohl doch nicht so taff, wie sie gedacht hatte.
    Endlich fand sie das Messer.

 
    ***

 
    Mit dem Messer war es weniger schwierig als sie gedacht hatte, eines der Bretter zu lösen und sich durch den Spalt in die Kabine herunterzulassen. Als sie erst einmal ein ordentliches Stück Holz herausgeschnitten hatte, war es ganz leicht, das Brett ganz heraus zu lösen. Jetzt lag sie auf dem kotzgrünen Teppichboden der obersten Etage des Gebäudes und ruhte sich aus. Sie genoß das Licht der Straßenlaterne, das helle, ungleichmäßige Vierecke auf den Boden warf. Sie inspizierte ihre Hände, der Biß war zum Glück nicht sehr tief und da wo sie sich den Splitter in den Handballen gerammt hatte, bildete sich bereits eine dunkelrote Kruste.
    Sie musste sich aufraffen und auf den Weg in den Keller machen.

 
    ***

 
    Das Treppenhaus gehörte noch zu dem Teil des Gebäudes, der um die Jahrhundertwende herum erbaut worden war. Steinerne, weit ausladende Stufen rankten sich um eine gewaltige, marmorne Säulen in der Mitte des Gewölbes. In der Dunkelheit war es Elaine, als stünde das Treppenhaus allein im Universum, wie eine Himmelsleiter. Und ihr Weg führte diese Leiter geradewegs hinunter, wie in einen Abgrund, aus dem herauf das Echo ihrer Schritte zu ihr klang.
    Vor der Tür der Historischen Abteilung im zweiten Stock blieb sie stehen und wollte schon ihr Taschenmesser herausholen, als sie bemerkte, dass die Tür offen war. Bleiches Mondlicht fiel durch den Türspalt auf ihre verschmutzte Kleidung. Sie öffnete und ging hinein. Vor ihr zogen sich die Tischreihen bis zur Ausgabetheke hin. Die Tische waren leer, nur hier und da lagen vergessene Bücher oder einzelne Zettel herum. Durch die großen Fenster zeigte der Mond sein fleckiges, wie von einer unbekannten Krankheit entstelltes Gesicht.
    Durch die Tischreihen hindurch bewegte sie sich vorsichtig nach vorne. Hinter der Theke lagen Berge von Büchern und Dokumenten, Zettelkästen mit Ausgabeanweisungen und Stifte in einem Regal, das sich über die ganze Wand zog, durchbrochen nur von der Öffnung des Lastenfahrstuhls.
    Um in den Keller mit den Dokumenten zu gelangen, musste sie nur mit diesem Ding hinunterfahren.
    Der Aufzug maß etwa einen Meter in Höhe und Breite und war ebenso tief.
    Aber wo, verdammt, war der Mechanismus, mit dem man dieses Scheißding hinunter in den Keller beförderte?
    Wenn sie nicht gleichzeitig in dem Kasten hocken und den Mechanismus betätigen konnte, konnte sie die ganze Aktion vergessen. Bei ihren Besuchen am Tage hatte sie nie darauf geachtet, wie der Archivar den Fahrstuhl hinauf und hinunter beförderte.
    Sie war wirklich eine gottverdammte Amateurin. Sie hatte wohl gedacht, dass das hier ein Spaziergang würde. Rein spazieren, Einsammeln und wieder raus

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