Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nacht des Ta-Urt (German Edition)

Die Nacht des Ta-Urt (German Edition)

Titel: Die Nacht des Ta-Urt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Bödeker
Vom Netzwerk:
und hielt das Teelicht wie mit einem unförmigen Handschuh.
    Endlich erweiterte sich der Gang zu einer Art kleiner Halle. Unruhig flackerte ihr Licht in einem Luftzug und warf überlebensgroße Schatten an Wände und Decke.
    Sie hatte die Wahl zwischen drei Türen.
    Elaine im Wunderland.
    Hinter der ersten Tür verbarg sich einer der kleinen, leeren Räume, wie sie sie schon auf ihrem Weg hierher gesehen hatte. Dieser allerdings unterschied sich von den anderen dadurch, dass an jeder der vier Wände ein paar eiserne Ringe in einer Höhe von einem halben Meter angebracht waren.
    Sie konnte keinen Moment daran zweifeln, wofür diese Ringe bestimmt waren.
    Hier wurden die für die Folter bestimmten Delinquenten an die Wände gekettet. Nichts zeugte mehr von der Qual der Gefolterten, die Jahrhunderte hatten jede Spur ihres Martyriums weggewischt, aber gerade die vollkommene Gleichgültigkeit der feuchten Mauern ließen Elaine Schauer über den Rücken fahren.
    Hier irgendwo hatten sie diese Frau gefoltert. Drei Tage lang hatten sie ihr die unvorstellbarsten Dinge angetan, und dieser Stadtschreiber hatte alles sorgfältig beobachtet und dokumentiert.
    Die nächste Tür öffnete sich zum zweiten Gang. Elaine ignorierte diesen zunächst und öffnete die dritte Tür, die in einen weiteren Gang führte.
    Sie dachte kurz an den Mythos vom Minotauros , des Stieres, dem in einem Labyrinth auf Kreta die alten Griechen jedes Jahr sieben Knaben und sieben Mädchen opfern mussten, dann ging sie tapfer den Gang hinunter ins Ungewisse.

 
    ***

 
    Nachdem sie etwa hundert Meter weiter gegangen war, führte der Gang wieder etwas hinauf.
    Sie schätzte, dass sie jetzt etwa fünfzig Meter unter der Erdoberfläche war. Wieder kam sie in eine kleinere Halle die ihr drei weitere Türen anbot. Die Tür zu ihrer Linken öffnete sich zu einer weiteren Kammer mit eisernen Ringen an den Wänden, die Tür gegenüber von der, durch die sie gekommen war, führte in einen weiteren Gang, ebenso wie die rechts von ihrem Ausgangspunkt liegende.
    Eben hatte sie die rechte Tür gewählt, und so entschloß sie sich, auch hier die Rechte zu wählen. Sollte sie irgendwann nicht mehr weiterkommen, könnte sie zurück gehen und die jeweils links von ihr liegenden Türen benutzen, so würde sie sich nicht verirren.
    Noch zweimal führte sie der Gang in kleine Hallen mit jeweils drei Türen,   immer befand sich zu ihrer Linken eine   Folterkammer und vor ihr wie rechts von ihr führten weitere Gänge bald absteigend, bald wieder etwas ansteigend, aber immer tiefer hinunter.
    Immer nahm sie die rechte Tür.
    Dann endete ein Gang plötzlich direkt vor ihr in einem Haufen Schutt.
    Das Teelicht zitterte in ihrer Hand. Bisher war es nur immer vorwärts gegangen und erst jetzt wurde ihr wirklich bewusst, dass sie sich mittlerweile bestimmt hundert Meter unter der Erdoberfläche in einem jahrhundertealten Gang aus bröckeligem Ziegelwerk befand, inmitten schwärzester Nacht und nur beschützt durch eine kleine Kugel aus Licht.
    Was, wenn die Decke plötzlich zusammenbrach, wie hier wohl vor Jahren geschehen? Was, wenn hinter ihr, irgendwo zwischen der letzten Halle und hier, der Gang bereits zusammengebrochen war?
    Ihr Atem ging heftiger und ihr Körper wurde so steif, dass sie sich nicht bewegen konnte, nur ihr Arm zitterte von der andauernden Anstrengung, das Teelicht hochhalten zu müssen so sehr, dass sie fürchtete, es fallen zu lassen.
    Oh Gott, dachte sie, wenn ich es jetzt fallen lasse, schaffe ich es nicht mehr, ein neues anzuzünden.
    Sie atmete so heftig, dass die kleine Flamme vor ihrem Gesicht zitterte und sich ganz hinunter zu dem kleinen See aus heißem Wachs beugte, fast ertrank sie darin.
    Ich muss sofort aufhören zu atmen, dachte sie, sonst blase ich die Flamme aus. Ich muss mich jetzt umdrehen und den Gang wieder hinaufgehen und eine andere Tür nehmen, nein, ich werde die linke Tür nehmen und wieder hier raus kommen, immer die Linke, immer die Linke, dann bin ich bald raus und Zuhause, alles wird gut, ich will jetzt nach Hause, ich will jetzt nach Hause.
    Langsam drehte sie sich um.
    Vor ihr lag die ganze Dunkelheit des zurückgelegten Weges.
    Ihr wurde schummerig. Kleine helle Kringel begannen sich vor ihren Augen zu drehen. Sie musste sich zusammenreißen und wieder ATMEN, verdammt, sie hatte tatsächlich aufgehört zu atmen.
    So ein Unsinn, dachte sie, und musste sich beherrschen um nicht hysterisch los zu kichern.
    Weiter atmen. Weiter

Weitere Kostenlose Bücher