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Die Nacht des Ta-Urt (German Edition)

Die Nacht des Ta-Urt (German Edition)

Titel: Die Nacht des Ta-Urt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Bödeker
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Und wieder musste sie daran denken, dass sie diese Frau in ihren Träumen gesehen hatte, lange BEVOR sie aus den Dokumenten von ihr erfahren hatte.
    Sie glaubte diesem klebrigen Archivar nicht, dass alles bei den Plünderungen nach dem Kriege weggekommen war.
    Sie glaubte, dass man ihr etwas vorenthalten wollte.

 
    ***

 
    Am nächsten Abend, kurz bevor das Städtische Archiv schloss, ging Elaine die steinerne Treppe hinauf, ließ die schwere, eisenbeschlagene Schwingtür hinter sich und setzte ihren Weg schnurstracks zum Paternoster fort. Sie trug eine alte Jeans und ein graues Sweatshirt mit Kapuze, ihr Haar war zu einem lockeren Pferdeschwanz gebunden, in ihrer Tasche hatte sie nichts weiter als ein Schweizer Taschenmesser und eine Mag-Lite-Taschenlampe.
    Ohne zu zögern sprang sie in eine der engen, dunkelbraunen Kabinen des Paternosters.
    Es ging hinauf.
    Kurz vor der letzten Etage hörte sie das bekannte knarrende Geräusch. Trotzdem sie von ihrem unfreiwilligen Erlebnis her wusste, dass eigentlich nichts passieren konnte, fühlte sie wieder kurz die Furcht in sich aufsteigen, dass die Kabine kippen könnte.   Aber als sie das Loch in der Bretterwand, das sie bei ihrer Fahrt vor einigen Tagen entdeckt hatte, von links oben schräg auf sich zukommen sah, bereitete sie sich auf den Sprung vor.
    Für einen kurzen Moment hatte sie freie Sicht in den verstaubten kleinen Maschinenraum, sah vor sich die Ketten und den starken Mechanismus, der die Reihe der Kabinen in ihren endlosen Lauf brachte, aber sie zögerte einen entscheidenden Augenblick zu lange. Das Loch war schon wieder vorbei, der knarrende Mechanismus beförderte sie wieder nach unten.
    Sie stieg in der nächsten Etage aus.
    Ein billiger grüner Teppichboden, mit Brandlöchern von unzähligen Kippen ungeduldiger Besucher übersät, zog sich unter ihren Füßen nach links und rechts durch einen unendlich lang scheinenden Flur. Es war schon still in den sonst so belebten Fluren, die meisten Angestellten und Besucher hatten das Gebäude schon verlassen.
    Sie drehte sich wieder um zu dem endlosen Band vorbeiziehender Kabinen und machte einen großen Schritt in eine, die nach oben führte.
    "Point of no return ", dachte sie, als sie diesmal den richtigen Moment zum Absprung in den Maschinenraum erwischte.
    Noch im Sprung spürte sie, wie sie mit ihrer rechten Seite gegen die Bretterwand stieß, und die Mag-Lite aus ihrer Tasche zurück in die Kabine fiel. Sie knickte um, fing ihren Sturz mit beiden Händen ab und landete unsanft auf dem Boden des Maschinenraumes.
    Heiß bohrte sich ein langer Holzsplitter in ihren rechten Handballen.
    Sie unterdrückte einen spitzen Schrei, zog vorsichtig den Splitter heraus und fluchte still vor sich hin. Die Wunde blutete nicht allzu stark, aber in ihrem Handballen breitete sich bereits ein taubes Gefühl aus. Sie nahm ein Taschentuch aus ihrer Tasche und wickelte es provisorisch um die verletzte Hand. Das musste reichen.
    Sie überlegte, wie sie die Lampe wieder bekommen könnte. Eigentlich musste sie ja nur warten, bis die richtige Kabine wieder an ihr vorbei kam, mit etwas Glück brauchte sie nur kurz zuzugreifen und hätte das Ding wieder, sie würde vielleicht nicht einmal wieder in die Kabine zu springen brauchen um die Lampe zu holen. Noch eine Rundfahrt wollte sie einfach nicht riskieren.
    Sie hockte sich vor das Loch und wartete.
    Kabine um Kabine zog an ihr vorbei, aber keine Taschenlampe. Sie merkte sich einen häßlichen Kaugummifleck auf einem der Kabinenböden und wartete, bis sie sicher war, dass der Fleck zweimal an ihr vorüber gekommen war, dann musste sie sich eingestehen, dass wohl jemand ihre Mag-Lite gefunden hatte. Das beunruhigte sie etwas, aber sie wollte sich im Moment keine Gedanken darüber machen. Sie würde schon klarkommen.
    Sie setzte sich in eine Ecke des Maschinenraumes, mit Blick auf das gewaltige Räderwerk, zog sich die Kapuze ihres Sweaters über den Kopf, nahm ihre schmerzende rechte Hand in ihre Linke, verfluchte sich wegen des Verlustes der Taschenlampe und wartete.
    In stetem Gleichmaß wuchtete der Antriebsmechanismus Kabine um Kabine um seine Achse, Ketten zogen sich über Zahnräder, von rythmischem Klappern und Kreischen begleitet. Hoffentlich käme nur niemand auf die Idee, sich auch einmal auf die Reise über das oberste Stockwerk hinaus zu begeben. Derjenige wäre sicherlich zu Tode erschrocken wenn er sie, einen grauen, kleinen Kobold mit Kapuze, in der Ecke hätte

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