Die Nacht des Ta-Urt (German Edition)
Marktplatz. Wir wissen nicht, warum ihn manche sehen konnten und andere nicht. Aber da die anderen die ihn sehen konnten, tot sind, weiß außer uns niemand mehr, dass das Untier einen Verbündeten hat, der auch am Tage lebt, und dies in unserer Nähe. Es muss einen Grund haben, dass du ihn sehen konntest und er dich nicht tötete. Über dir muss der besondere Schutz unserer Göttin walten. Finde heraus warum, und nutze die Gunst der Göttin."
Wessel schwieg darüber, dass er einer Ahnung folgend, dem Kampf mit dem Oberhuser ausgewichen war. Jetzt sah er, dass ihm diese Ahnung vielleicht das Leben gerettet hatte, vielleicht hatte sie ihn aber auch davon abgehalten, der unseligen Sache gleich damals ein Ende zu machen. Er war fest entschlossen, wenn dies ein Fehler gewesen sein sollte, ihn wieder gut zu machen.
Arno griff hinter sich und holte drei vergilbte Papierrollen hervor.
"Hier siehst du einige Schriftrollen, die von Anbeginn an im Besitz der Bruderschaften sind. Sie wurden von Generation zu Generation an die Generale weitergegeben. Bisher glaubten wir, dass die beschriebenen Ereignisse einer Vorzeit angehören, die durch die geheime Herrschaft der Horla endgültig zu Ende gegangen war. Es ist in diesen Rollen von einem fremden Gott die Rede, welcher das große Gleichgewicht zerstören will. Lies diese Rollen und werde schlauer daraus, als wir es wurden. Wir selbst sind zwar eure Generale, aber wir sind es, weil wir Soldaten sind. Du dagegen bist ein Gelehrter, ein freier Geist, und einen freien Geist brauchen wir, um dieses Geheimnis zu lösen."
Wessel nahm die Rollen in die Hand. Sie fühlten sich an wie Herbstblätter, so alt und brüchig. Sie waren mit einem dünnen, braunen Band zusammengeschnürt.
***
Die Rollen waren so alt, dass Wessel sie, in seinem Haus angekommen, vorsichtig befeuchtete und eine Weile wartete, bevor er sie auseinander rollte. Die Schrift war in Latein und Griechisch abgehalten. Zum Glück hatte er in jungen Jahren im Hause seiner Eltern Unterricht in der Sprache der Philosophen bekommen.
Die erste Rolle begann mit den Worten:
"Im Namen des großen, ersten, fremden Lebens aus den Welten des Erhabenen, das über allen Werken steht."
Wessel stockte.
Offensichtlich hatte er eine Genesis vor sich, eine Erzählung vom Anfang der Welt.
Er las weiter.
***
Wessel wollte gerade die zweite Rolle öffnen, als es laut an seine Tür hämmerte. Verärgert über die Unterbrechung legte er die Rollen unter seinen Tisch.
Ein Bote des Rates stand in der Kälte, begleitet von einem Soldaten. Wessel sollte sich sofort ins Gerichtshaus begeben, seine Dienste als Schreiber wurden bei einem Verhör gebraucht.
***
Verzweifelt versuchte Barnabas nachzudenken, aber in seinem Kopf ging alles durcheinander.
Seit Stunden streunte er wie eine räudige Katze durch die Stadt und vermied es, gesehen zu werden. Er mied die offenen Plätze, schlich durch dunkle Gassen und drückte sich in enge Winkel, wenn Menschen vorbeikamen.
Was war nur mit ihm geschehen?
Er konnte sich an nichts erinnern, nur, dass ein fürchterliches Untier seinen Bruder getötet hatte und er ihm nicht hatte helfen können.
Aber warum hatte er hilflos mit ansehen müssen, wie das Untier seinen Bruder gegen die Wand warf? Warum hatte er nicht einschreiten können und warum hatte das Untier ihn verschont? Da war noch eine Person gewesen, die sich über ihn gebeugt, ihn geschlagen und auf ihn eingeredet hatte. Eine Frau. Ach ja, er war krank gewesen und sein Bruder hatte eine Heilkundige geholt, dann war dieses Wesen erschienen und hatte seinen Bruder und die Frau getötet. Er selbst war wohl ohnmächtig geworden, und als er wach wurde, war er aus dem Haus geflüchtet und über die Felder in die Stadt hinein gelaufen.
Was wollte er hier?
Sein Kopf tat fürchterlich weh und in seinen Gliedern riss es, als hätte er auf der Streckbank gelegen.
Ein Fenster öffnete sich.
Von drinnen erscholl fröhliches Gelächter, dann wurde ein Schwall Urin aus einem Eimer in den Rinnstein vor ihm gegossen. In dem kurzen Moment, in dem das Licht aus dem Haus auf die Gasse traf, konnte Barnabas erkennen, dass seine Hosen zerfetzt um seine Beine schlotterten.
Hatte das Untier ihn doch angegriffen und er konnte sich nur nicht mehr erinnern?
Das Fenster schloss sich wieder.
In letzter Zeit war es ihm wirklich nicht gut gegangen. Seit er diesen seltsamen Traum gehabt hatte, wollte sein Körper nicht mehr so
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