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Die Nacht des Zorns - Roman

Die Nacht des Zorns - Roman

Titel: Die Nacht des Zorns - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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allem, was sie durchgemacht haben?«
    »Antonin wirfst du in den gleichen Topf?«
    »Ja. Ich glaube nicht, dass aus einem Baby, das man in tausend Stücke zerschlagen hat, ein Mensch von ruhigem Naturell werden kann. Man glaubt, dass Antonin viel zu große Angst hat, zu zerbrechen, um selber zu handeln. Aber er könnte auf einen Abzug drücken, vielleicht auch eine Axt anheben, ich weiß nicht.«
    »Er sagt nein.«
    »Aber er würde alle Handlungen von Hippo blindlings unterstützen. Man kann annehmen, dass sein Besuch heute, wegen der Axt, von seinem Bruder befohlen war. Dasselbe gilt für Martin, der sich wie ein wildes Tier ernährt und dem Älteren doch auf dem Fuße folgt.«
    »Bleibt Lina.«
    »Die Hellequins Heer sieht und auch nicht viel richtiger im Kopf ist als ihre Brüder. Oder die es zu sehen vorgibt, Adamsberg. Wichtig ist doch nur, zukünftige Opfer zu benennen, die anderen in Angst und Schrecken zu versetzen, wie Hippo es einst mit seinen Fingern machte. Hippo übernimmt es, die so bezeichneten Opfer anschließend umzubringen, während die Familie ihm alle nötigen Alibis liefert.So steht es denn in ihrer Macht, Terror in Ordebec zu verbreiten und als Rächer in Erscheinung zu treten, da diese Opfer ja überdies ausgemachte Schurken sind. Ich glaube allerdings eher, dass Lina tatsächlich eine Vision hatte. Was alles ausgelöst hat. Eine Vision, die ihre Brüder beim Wort genommen und auszuführen beschlossen haben. Sie glauben daran. Denn Linas erste Vision hat sich fast zur selben Zeit ereignet wie der Tod des Vaters. Davor oder danach, ich weiß nicht mehr.«
    »Zwei Tage danach. Sie hat es mir erzählt.«
    »Sie erzählt es gern. Und hast du bemerkt, mit welcher Gelassenheit?«
    »Ja«, sagte Adamsberg, und er sah wieder Linas Handkante wie ein Fallbeil auf den Tisch aufschlagen. »Und warum sollte Lina den Namen des letzten Opfers geheim halten?«
    »Entweder hat sie es wirklich nicht genau gesehen, oder sie wahren dieses kleine Geheimnis, um die Bevölkerung in Schach zu halten. Dafür sind sie begabt. Das Grauenvolle dieser Bedrohung lässt sämtliche Ratten aus ihren Löchern kommen. Das amüsiert sie, das befriedigt sie, und sie finden es gerecht. Wie es auch gerecht war, dass ihr Vater starb.«
    »Wahrscheinlich stimmt das, Émeri. Es sei denn, jemand macht sich die augenscheinliche Schuld der Vendermots zunutze, um die Morde zu vollbringen. Er tötet in aller Gelassenheit, weil er sicher ist, dass man die Teufelsfamilie dafür anklagen wird.«
    »Und was wäre sein Motiv?«
    »Sein panisches Entsetzen vor dem Wütenden Heer. Du hast selbst gesagt, dass viele in Ordebec daran glauben und einige so sehr daran glauben, dass sie nicht mal darüber zu reden wagen. Denk daran, Émeri. Man könnte eine Liste all dieser Leute aufstellen.«
    »Es sind zu viele«, sagte Émeri und schüttelte den Kopf.
     
    Schweigend ging Adamsberg den Weg zurück, Veyrenc und Danglard waren ihm langsam ein Stück vorausgegangen. Die Wolken im Westen hatten sich immer noch nicht entladen, die Nacht war zu warm. Danglard richtete hin und wieder das Wort an Veyrenc, auch das war ungewöhnlich, neben diesem Ausdruck von spöttischer Geheimnistuerei, der nicht aus seinem Gesicht gewichen war.
    Émeris Verdacht gegen die Vendermots verdross Adamsberg. Zusammen mit den Einzelheiten, die er aus Hippolytes Kindheit erfahren hatte, war er glaubhaft. Man konnte sich schlecht vorstellen, mit welcher Weisheit oder Befähigung zur Gnade die Vendermot-Kinder hätten begabt sein müssen, um der Versuchung des Zorns, der Rache zu entgehen. Ein Sandkorn aber knirschte in seinen verstreuten Gedanken. Die alte Léo. Er hielt keinen Einzigen der vier Vendermots für fähig, sie auf den Boden zu schmettern. Doch selbst in diesem Fall, dachte Adamsberg, hätte Hippo – gesetzt, er wäre es gewesen – eine weniger barbarische Methode bei der alten Frau angewandt, die ihm in seiner ganzen Kindheit zur Seite gestanden hatte.
    Er ging durch den Keller, bevor er sein Zimmer aufsuchte, und steckte die Zuckerpapiere und die Fotos in ein altes Cidre-Fass. Dann sandte er der Brigade eine Nachricht mit der Bitte um zwei weitere Leute bis 14 Uhr in Ordebec. Estalère und Justin wären dafür sehr geeignet, keinem der beiden machte die erdrückende Langeweile einer Personenüberwachung irgendetwas aus, dem Ersten auf Grund seines »glücklichen Naturells« – wie manche es nannten, um ihn nicht als Trottel zu bezeichnen –, dem Zweiten, weil

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