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Die Nacht des Zorns - Roman

Die Nacht des Zorns - Roman

Titel: Die Nacht des Zorns - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Achtung, das ihn ein wenig rührte, was selten bei ihm vorkam und sicher eine unmittelbare Auswirkung der soeben erfahrenen Behandlung war.
    Bevor Dr. Merlan Léos Tür abschloss, schlich er leise noch einmal in ihr Zimmer, berührte ihre warmen Wangen, streichelte ihr Haar. Für einen Moment war er versucht, ihr von den Zuckerpapieren zu erzählen, verdrängte den Gedanken aber sofort wieder.
    »Hello, Léo, ich bin’s. Flem war bei seinem Mädchen auf dem Gehöft. Er ist glücklich.«

32
    In der Halle eines ziemlich düsteren Hotels am Stadtrand von Granada schalteten Zerk und Mo den alten Rechner aus, den sie konsultiert hatten, und gingen mit betont lässigem Schritt zum Treppenhaus. Man denkt nie darüber nach, wie man läuft, außer wenn man sich beobachtet weiß, von der Polizei oder von der Liebe. Und nichts ist dann schwieriger, als die verlorene Natürlichkeit zu imitieren. Sie hatten beschlossen, den Fahrstuhl zu meiden, weil die Fahrgäste an diesem Ort, wo es nichts anderes gibt, mehr Zeit haben als sonst wo, jemanden zu beobachten.
    »Ich weiß nicht, ob es sehr klug war, ins Internet zu gehen«, sagte Mo, als er die Zimmertür schloss.
    »Bleib ruhig, Mo. Niemand fällt mehr auf als ein verkrampfter Typ. Wenigstens haben wir unsere Auskünfte.«
    »Ich glaube nicht, dass es eine so gute Idee ist, in dem Restaurant in Ordebec anzurufen. Wie, hast du gesagt, heißt es?«
    »
Die rasende Wildsau
. Nein, wir rufen nicht an. Es ist nur ein Notnagel, falls wir in Schwierigkeiten kommen. Und jetzt haben wir den Namen dieses verdammten Geschäfts für Spiele und Diabolos:
Am seidenen Faden
. Eine Kleinigkeit, nun noch den Namen des Inhabers herauszukriegen und in Erfahrung zu bringen, ob er Kinder hat. Eher einen Jungen, zwischen zwölf und sechzehn Jahren.«
    »Einen Sohn«, meinte auch Mo. »Ein Mädchen würde wohl weniger auf den Gedanken kommen, einer Taube die Beine zusammenzubinden, um ihr das Leben zu vermiesen.«
    »Oder Autos abzufackeln.«
    Mo setzte sich auf sein Bett, streckte die Beine aus, bemühte sich, ruhig zu atmen. Er hatte das Gefühl, dass in seinem Magen ununterbrochen ein zweites Herz schlug. Adamsberg hatte ihm in dem Haus mit den Kühen erklärt, dass es sich dabei vermutlich um kleine Kugeln Elektrizität handelte, die sich hier oder da festsetzten. Er legte die Hand auf den Bauch, um sie zu verteilen, und blätterte in einer französischen Zeitung vom Vortag.
    »Aber es kann einem Mädchen durchaus einfallen«, fügte Zerk hinzu, »dem Typen lachend dabei zuzusehen, wie er die Taube fesselt oder eine Karre in Brand setzt. Schreiben sie was Neues über Ordebec?«
    »Nein, nichts. Aber ich sage mir, dein Vater hat Wichtigeres zu tun, als den Namen des Kerls von diesem Diabololaden rauszukriegen.«
    »Denke ich nicht. Ich glaube, dass der Kerl, der die Taube gefoltert hat, der Kerl, der in Ordebec gemordet hat, der Kerl, der Clermont-Brasseur verbrannt hat, dass die alle Arm in Arm durch seinen Kopf spazieren, ohne dass er zwischen ihnen groß unterscheidet.«
    »Ich denke, du kennst ihn nicht.«
    »Aber ich habe allmählich das Gefühl, dass ich ihm ähnlich bin. Morgen früh, Mo, müssen wir um 8 Uhr 50 das Zimmer verlassen. Und das alle Tage. Wir müssen den Eindruck erwecken, dass wir einen geregelten Job haben. Falls wir morgen noch hier sind.«
    »Ah. Du hast es auch bemerkt?«, fragte Mo, indem er seinen Bauch massierte.
    »Den Typen unten, der uns angeguckt hat?«
    »Ja.«
    »Er hat uns ein bisschen lange angeguckt, oder?«
    »Ja. Woran denkst du dabei?«
    »An einen Bullen, Mo.«
    Zerk machte das Fenster auf, um seinen Zigarettenrauchnach draußen zu blasen. Vom Zimmer aus sah man nur einen kleinen Hof, ein paar dicke Abzugsrohre, Wäsche auf einer Leine und Zinkdächer. Er warf seine Kippe aus dem Fenster, sah sie irgendwo im Schatten landen.
    »Besser, wir hauen gleich hier ab.«

33
    Émeri hatte stolz beide Flügel der Tür seines Empire-Salons geöffnet, begierig auf die Reaktionen seiner Gäste. Adamsberg schien überrascht, blieb aber gleichgültig – Banause, schloss Émeri –, aber das Erstaunen von Veyrenc und die bewundernden Kommentare von Danglard befriedigten ihn hinlänglich, um auch die letzten Spuren des vorangegangenen Zwists zu tilgen. In Wahrheit bewunderte Danglard zwar das erlesene Mobiliar, aber das Übermaß an akribisch genauer Nachgestaltung des Ganzen gefiel ihm nicht.
    »Wundervoll, Capitaine«, schloss er und nahm seinen Aperitif entgegen, denn

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