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Die Nacht des Zorns - Roman

Die Nacht des Zorns - Roman

Titel: Die Nacht des Zorns - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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wurde plötzlich hart. »Nicht ihn hat einer töten wollen. Sie.«
    »Aber nein.«
    »Doch. Denn selbst wenn Sie heute nichts wissen, werden Sie morgen alles wissen. Sie sind sehr viel gefährlicher als Émeri. Die Zeit läuft.«
    »Meine?«
    »Ja, Ihre, Kommissar. Machen Sie, dass Sie wegkommen, rennen Sie. Nichts hält den Seigneur noch seine Soldaten jemals auf. Gehen Sie ihm aus dem Weg. Glauben Sie mir oder nicht, ich versuche Ihnen zu helfen.«
    So heftige und so unbegreifliche Worte, dass Émeri sie schon für viel weniger verhaftet hätte. Adamsberg rührte sich nicht.
    »Ich muss Mortembot beschützen«, sagte er.
    »Mortembot hat seine Mutter umgebracht. Er ist es nicht wert, dass man sich um ihn bemüht.«
    »Das ist nicht mein Problem, Lina, das wissen Sie genau.«
    »Sie verstehen nicht. Er wird sterben, was auch immer Sie tun. Gehen Sie vorher.«
    »Wann?«
    »Sofort.«
    »Ich meine: Wann wird er sterben?«
    »Das entscheidet Hellequin. Gehen Sie. Sie und Ihre Leute.«

37
    Adamsberg betrat langsamen Schritts den Hof des Krankenhauses, das er bald ebenso gut kannte wie die Kaffeebar in der Brigade. Danglard hatte es abgelehnt, die Patientenkleidung zu tragen, er hatte das vorschriftsmäßige blaue Papierhemd ausgezogen und saß in seinem Anzug auf dem Bett, so schmutzig er war. Die Schwester hatte lautstark protestiert, die Sache sei nicht hygienisch. Aber weil er ein Ex-Selbstmörder war und in seiner ganzen Länge unter einen Zug gekommen – ein Ereignis, das Respekt abnötigte –, hatte sie nicht gewagt, ihn zu zwingen.
    »Ich brauche einen etwas angemesseneren Aufzug«, war Danglards erster Satz.
    Während seine Augen gleichzeitig zu der gelb gestrichenen Wand hin auswichen, seine Schande, seine Lächerlichkeit und seine Entwürdigung fliehend, die er schon gar nicht in Adamsbergs Blick lesen wollte. Dr. Merlan hatte ihm in groben Zügen berichtet, was vorgefallen war, ohne eine Meinung dazu zu äußern, und Danglard wusste nicht, wie er sich selbst noch ins Gesicht sehen sollte. Er hatte sich in keiner Weise professionell verhalten, er hatte sich grotesk verhalten, schlimmer noch: wie ein Idiot. Er, Danglard, der überlegene Intellekt. Seine primitive Eifersucht, der brennende Wunsch, Veyrenc zu vernichten, hatten nicht dem geringsten Rest Würde und Verstand mehr Raum gelassen. Vielleicht hatte dieser winzige Rest sich gemeldet, etwas zu sagen versucht, aber er hatte nichts gehört, nichts wissen wollen. Wie der letzte aller Kretins war er in seine eigene Zerstörung gerannt. Und ausgerechnet der, den er demütigenwollte, hatte ihn beschützt und beinahe sein eigenes Leben unter den Rädern des Zuges gelassen. Er, Veyrenc de Bilhc, hatte die Geistesgegenwart, den Mut und die Kraft besessen, ihn zwischen die Schienen zu legen. Er selbst, grübelte Danglard, hätte diese dreifache Leistung nie vollbracht. Bestimmt wäre er nicht auf den Gedanken gekommen, den Körper in seiner Lage zu verändern, und ganz sicher hätte er nicht die Kraft dazu gehabt. Vielleicht wäre er, schlimmer noch, sogar schon vorher weggerannt, um sich auf den Bahnsteig zu retten.
    Das Gesicht des Commandant war grau vor Hilflosigkeit. Man hätte meinen können, eine Ratte, die hoffnungslos in einem Korridor festsaß und nicht gemütlich in einem guten Brotkanten bei Tuilot Julien.
    »Schmerzen?«, fragte Adamsberg.
    »Nur wenn ich den Kopf drehe.«
    »Scheint, Sie haben nichts davon mitbekommen, dass der Zug über Sie hinwegfuhr«, sagte Adamsberg ohne eine tröstliche Note in der Stimme.
    »Nein. Es ist ärgerlich, so etwas zu erleben, ohne sich an das Geringste zu erinnern, nicht wahr?«, versuchte Danglard es mit einem Körnchen Ironie.
    »Nicht das ist ärgerlich.«
    »Wenn ich wenigstens mehr gesoffen hätte als gewöhnlich.«
    »Nicht mal das, Danglard. Im Gegenteil, Sie haben sich bei Émeri so weit unter Kontrolle gehabt, dass Sie einen halbwegs klaren Kopf behielten für Ihre einsame Operation.«
    Danglard sah zu der gelben Decke hoch und entschied sich, in dieser Position zu verharren. Er war Adamsbergs Blick begegnet und hatte den scharfen Glanz in seinen Pupillen gesehen. Einen Glanz, der weit trug und dem er zu entrinnen suchte. Jenen seltenen Glanz, der beim Kommissar nur in Augenblicken des Zorns, höchsten Interessesoder beim plötzlichen Auftauchen einer Idee in die Augen trat.
    »Veyrenc, der hat den Zug gespürt«, beharrte Adamsberg.
    Wütend auf Danglards Mittelmäßigkeit, enttäuscht, traurig, o ja,

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