Die Nacht des Zorns - Roman
die Bank, legte beide Hände flach auf den Tisch und sah ihn starr an, ohne ein Wort zu sagen. Danglard, der sich im Moment nicht mehr berechtigt glaubte, zu fragen oder zu kritisieren, stellte zwei Tassen auf den Tisch und goss den Kaffee ein wie eine gute Ehefrau, etwas Besseres fiel ihm nicht ein.
»Danglard«, sagte Adamsberg, »welche Farbe hatte die Jacke von Mortembot, als er in der Gendarmerie war?«
»Braun.«
»Genau. Und ich habe sie blau gesehen. Ich meine, als ich später daran dachte, habe ich ›blau‹ gesagt.«
»Ja?«, sagte Danglard vorsichtig, da solche Unbeweglichkeitsphasen bei Adamsberg ihn mehr beunruhigten, als wenn das Licht in seinen Algenaugen aufglomm.
»Und warum, Danglard?«
Der Commandant führte stumm seine Tasse zum Mund. Der Gedanke reizte ihn, einen Tropfen Calvados hineinzugeben, wie sie es hier machten, um »den Körper zu beseelen«,aber er ahnte, dass diese Geste um drei Uhr nachmittags den gerade abgeflauten Zorn von Adamsberg neu beleben könnte. Vor allem seit der
Ordebequer Kurier
schrieb, dass sie rein gar nichts auf die Reihe bekämen und auch – das hatte er dem Kommissar verschwiegen –, dass es ihnen wohl ziemlich wurst wäre. Vielleicht aber war Adamsberg, im Gegenteil, mit seinen Gedanken so sehr woanders, dass er es nicht mal bemerken würde. Er wollte gerade aufstehen, um sich diesen kleinen Tropfen zu genehmigen, als Adamsberg ein Päckchen Fotos aus der Tasche zog, die er vor ihm ausbreitete.
»Die Brüder Clermont-Brasseur«, sagte er.
»Ich weiß«, sagte Danglard. »Die Fotos, die Ihnen der Graf gegeben hat.«
»Genau. Wie sie an dem besagten Abend angezogen waren. Hier Christian im blauen Nadelstreifen, hier Christophe im Marineblazer des Jachtbesitzers.«
»Vulgär«, urteilte Danglard leise.
Adamsberg zog sein Mobiltelefon heraus, scrollte sich durch ein paar Bilder, dann reichte er es Danglard.
»Hier das Foto, das Retancourt geschickt hat, es zeigt den Anzug, den Christian trug, als er in der Nacht nach Hause kam. Der Anzug wurde nicht in die Reinigung gegeben, wie auch der von seinem Bruder nicht. Sie hat’s überprüft.«
»Also muss man’s wohl glauben«, sagte Danglard, während er das kleine Bild aufmerksam betrachtete.
»Ein blaugestreifter Anzug bei Christian. Sehen Sie es? Nicht braun.«
»Nein.«
»Warum habe ich also gedacht, dass Mortembots Jacke blau war?«
»Irrtümlich.«
»Weil er sich
umgezogen
hat, Danglard. Sehen Sie jetzt die Verbindung?«
»Ehrlich gesagt, nein.«
»Weil ich im Grunde wusste, dass Christian sich
umgezogen
hat. Wie es auch Mortembot getan hat.«
»Und warum hat Mortembot sich umgezogen?«
»Aber Mortembot ist uns doch vollkommen egal«, erregte sich Adamsberg. »Man könnte glauben, Sie machen das absichtlich, dass Sie nicht verstehen.«
»Vergessen Sie nicht, ich bin immerhin unter einen Zug gekommen.«
»Stimmt«, gab Adamsberg knapp zu. »Christian Clermont
hat sich umgezogen,
und das war mir seit Tagen vor Augen. So sehr vor Augen, dass ich, wenn ich an Mortembots Jacke dachte, ich sie als blaue Jacke gesehen habe. Wie die von Christian. Vergleichen Sie beide mal genau, Danglard: den Anzug, den Christian während des Empfangs trägt, und den, den Retancourt fotografiert hat, das heißt, mit dem er in jener Nacht nach Hause gekommen ist.«
Adamsberg legte das Foto, das er vom Grafen hatte, und genau daneben die Handy-Aufnahme vor Danglard hin. Er schien plötzlich zu realisieren, dass ein Kaffee vor ihm stand, und stürzte die halbe Tasse hinunter.
»Nun, Danglard?«
»Ich sehe es nur, weil Sie es mir sagen. Die beiden Anzüge von Christian sind beinahe identisch, beide vom gleichen Blau, aber es sind in der Tat nicht dieselben.«
»Das ist es, Danglard.«
»Auf dem zweiten sind die Streifen nicht ganz so fein, das Revers ist breiter, die Armlöcher sind kleiner.«
»Das ist es«, wiederholte Adamsberg lächelnd, stand auf und begann mit langen Schritten zwischen Kamin und Tür hin und her zu laufen. »Das ist es. In der Zeit zwischen Mitternacht, als Christian die Gala verlassen hat, bis gegen zwei Uhr morgens, als er nach Hause gekommen ist, muss er sich umgezogen haben. Es ist sehr durchdacht, kaum wahrnehmbar, und doch ist es da. Der Anzug, den er am nächsten Tag in die Reinigung gegeben hat, ist in der Tat nicht der, den er trug,als er nach Hause kam, Retancourt hat sich nicht geirrt. Es ist der, den er auf der Gala anhatte. Und warum, Danglard?«
»Weil er nach Benzin
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