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Die Nacht des Zorns - Roman

Die Nacht des Zorns - Roman

Titel: Die Nacht des Zorns - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Innere auskratzen. Womit?, fragte er sich, als er sich in die Matratzenkuhle rollte. Mit einem Messer? Einem Teelöffel? Einem Schuhanzieher?
     
    Die Brutalität dieser Pfeilspitze hatte ihn angewidert, diese messerscharfen Flügel, wie sie den Typen mitten im Pinkeln durchbohrten. Viel mehr angewidert als die Brotkrume in der Kehle der alten Frau, Tuilot Lucette, eine Methode, die in ihrer Einmaligkeit und Primitivität auch irgendwie etwas Rührendes hatte. Dann hatte Danglard ihn genervt mit seinem Kommentar über Richard Löwenherz, was, zum Teufel,ging sie das an? Ebenso Veyrenc, der sich fragte, warum Mortembot seine Sachen gewechselt hatte. Schnell vergehender und ziemlich ungerechter Ärger, Ausdruck seiner großen Müdigkeit. Mortembot hatte sein blaues Jackett abgelegt – das noch den Zellengeruch an sich haben mochte, was auch immer Émeri behauptete, oder den Geruch des Desinfektionsmittels – und einen hellgrauen, baumwollenen Hausanzug mit dunkelgrau abgesetzter Hose angezogen. Na und? Und wenn Mortembot nun das Bedürfnis nach Bequemlichkeit gehabt hatte? Oder Eleganz? Auch Émeri hatte ihn geärgert mit seiner neuerlichen Ankündigung, dass er die ganze Verantwortung für das Desaster auf ihn ablade. Du bist ein feiger Soldat, Émeri. Dieser dritte Mord würde Ordebec vollends in Brand setzen, und danach die ganze Region. Die Lokalzeitungen waren schon voll vom mörderischen Rasen Hellequins, einige Leserbriefe zeigten mit dem Finger auf die Vendermots, ohne sie namentlich zu nennen, und gestern war es ihm so vorgekommen, als hätten die Straßen sich am Abend schneller geleert als sonst. Und jetzt, wo der Killer mit einer Armbrust aus der Ferne mordete, war niemand mehr sicher in seinem Rattenloch. Er schon gar nicht, den man unter einem Zug in drei Teile hatte schneiden wollen. Wenn der Mörder hätte ahnen können, wie unwissend und machtlos er war, hätte er sich nicht die Mühe gemacht, einen Zug kommen zu lassen, um ihn zu vernichten. Vielleicht versperrte ihm Linas Busen einfach jede Sicht auf die Schuld der Familie Vendermot.

41
    Drei Stunden später machte Adamsberg die Augen auf, vom Lärm einer Fliege geweckt, die wie eine Furie von einem Ende des Zimmers zum anderen sauste, ohne offensichtlich bemerkt zu haben, ebenso wenig wie Hellebaud, dass das Fenster weit geöffnet war. In diesem ersten wachen Moment dachte er weder an Mo und Zerk und die Gefahr, in der sie schwebten, noch an die Toten des Seigneur Hellequin, noch an die alte Léo. Er fragte sich nur, warum er geglaubt hatte, dass die Jacke, die Mortembot in der Zelle trug, blau wäre, obwohl sie doch braun war.
    Er öffnete die Tür, streute ein paar Körner auf die Schwelle, um Hellebaud zu veranlassen, sich wenigstens einen Meter von seinem Schuh wegzuwagen, und ging zur Küche, um sich einen Kaffee zu brühen. Danglard saß schon dort, schweigend, das Gesicht über eine Zeitung gebeugt, die er nicht las, und Adamsberg begann allmählich ein wenig Mitleid für seinen alten Freund zu empfinden, der unfähig war, aus seiner Jauchegrube herauszukommen.
    »Im
Ordebequer Kurier
schreiben sie, dass die Bullen aus Paris rein gar nichts auf die Reihe bekommen. In wenigen Worten zusammengefasst.«
    »Womit sie nicht unrecht haben«, sagte Adamsberg, während er kochendes Wasser über das Kaffeepulver goss.
    »Sie erinnern daran, dass der Seigneur Hellequin schon 1777 die Maréchaussée unter seinem Stiefel mühelos plattgemacht hat.«
    »Auch das ist nicht falsch.«
    »Dennoch gibt’s da eine Sache. Hat nichts mit der Ermittlungzu tun, aber ich muss trotzdem darüber nachdenken.«
    »Wenn es sich um Richard Löwenherz handelt, lassen Sie’s, Danglard.«
    Adamsberg ging in den großen Hof hinaus und ließ das Wasser auf dem Gas weiterkochen. Danglard schüttelte den Kopf, erhob einen Körper, der ihm zehn Mal schwerer vorkam als sonst, und brühte den Kaffee zu Ende. Er trat ans Fenster, um Adamsberg unter den Apfelbäumen herumlaufen zu sehen, die Hände in den Taschen seiner ausgebeulten Hose, den Blick – so schien ihm – leer, abwesend. Danglard dachte an den Kaffee – sollte er ihn rausbringen? Oder ihn allein trinken, ohne dem Kommissar Bescheid zu sagen? –, wobei er aus den Augenwinkeln den Hof immer noch im Blick behielt. Adamsberg verschwand aus seinem Gesichtsfeld, dann tauchte er aus dem Keller wieder auf und kam raschen Schritts zum Haus zurück. Er setzte sich mit einem Ruck, ohne seine sonstige Geschmeidigkeit, auf

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