Die Nacht des Zorns - Roman
stank«, sagte der Commandant mit einem ersten schwachen Lächeln.
»Und er stank nach Benzin, weil Christian den Mercedes in Brand gesetzt hat, mit seinem darin eingeschlossenen Vater. Und noch was«, fügte er hinzu, mit der Hand auf den Tisch schlagend, »er hat sich die Haare geschnitten, bevor er nach Hause fuhr. Sehen Sie sich die Fotos noch einmal an: auf dem Empfang halblange Haare mit Stirnlocke, sehen Sie? Doch als er nach Hause kommt, sind sie nach Aussage des geschassten Zimmermädchens sehr kurz. Weil, wie das Mo häufig passiert ist, der Gluthauch des Brandes ihm die Haare versengt hat und die Lücken zu sehen waren. Darum hat er sie abgeschnitten, auf die gleiche Länge, und hat den Anzug gewechselt. Und was sagt er am nächsten Morgen seinem Kammerdiener? Dass er sich in der Nacht aus Kummer, in einem Akt der Verzweiflung, könnte man meinen, den Kopf rasiert hat. Christian-mèche-courte.«
»Kein direkter Beweis«, sagte Danglard. »Das Foto von Retancourt wurde nicht in der Nacht selbst aufgenommen, und nichts beweist, dass sie – oder das Zimmermädchen, von dem sie es weiß – sich nicht im Anzug geirrt hat. Sie sehen so gleich aus.«
»Es könnten sich Haare im Auto finden.«
»In der Zwischenzeit ist sicher alles gründlich gereinigt worden.«
»Nicht unbedingt, Danglard. Es ist verdammt schwer, all die kleinen abgeschnittenen Haare wegzukriegen, vor allem vom Bezug einer Kopfstütze, wenn wir Glück haben und das Wageninnere mit Stoff ausgekleidet ist. Man kann davon ausgehen, dass Christian es ein bisschen flüchtig gemacht hat, zumal er ja nichts zu riskieren meinte. Nicht die geringste Befragung würde er über sich ergehen lassen müssen. Retancourt muss den Wagen untersuchen.«
»Wie soll sie die Genehmigung dafür erhalten?«
»Die kriegt sie nicht. Dritter Beweis, Danglard. Der Hund, der Zucker.«
»Die Geschichte von Ihrer Léo.«
»Ich meine den anderen Hund, den anderen Zucker. Wir machen gerade eine Zuckerplage durch, Commandant. In manchen Jahren sind es Schwärme von Marienkäfern, die auf die Erde fallen. Und in anderen ist es Würfelzucker.«
Adamsberg suchte die Textnachrichten, die Retancourt ihm über das so plötzlich entlassene Zimmermädchen geschickt hatte, und gab sie Danglard zu lesen.
»Ich verstehe nichts.«
»Weil Sie unter einen Zug gekommen sind. Vorgestern, auf der Landstraße, hat Blériot mich gebeten, ich sollte Flem selber sein Stück Zucker geben. Er hatte am Motor des Autos herumgebastelt und erklärte mir, dass Flem den Zucker verschmäht, wenn seine Hände nach Benzin riechen.«
»Sehr gut«, meinte Danglard etwas lebhafter und stand auf, um den Calvados unten aus dem Küchenschrank zu holen.
»Was machen Sie, Danglard?«
»Ich nehme nur einen einzigen Tropfen. Um den Kaffee ein wenig aufzuheitern und damit auch meine Jauchegrube.«
»Hören Sie, Commandant, das ist Léos Calva, den der Graf ihr immer gibt. Wie stehen wir da, wenn sie wieder nach Hause kommt? Wie eine Besatzungsarmee?«
»Einverstanden«, sagte Danglard und goss sich rasch den Tropfen ein, während Adamsberg gerade auf dem Weg zum Kamin war und ihm einen Moment den Rücken zukehrte.
»Darum nämlich ist das Zimmermädchen gefeuert worden. Christian hat sich umgezogen, sich frisch gemacht, aber seine Hände rochen noch immer nach Benzin. Das ist ein Geruch, der einem Stunden hinterher noch an der Haut klebt. Ein Geruch, den ein Hund unfehlbar bemerkt. Dashat Christian sofort begriffen, als das Tier sich von dem Zucker abwandte. Den das Zimmermädchen dann vom Boden aufgehoben hat. Und ›kritisiert‹ hat. Er musste das belastete Stück loswerden. Und auch das Zimmermädchen, das er auf der Stelle entlassen hat.«
»Sie müsste es bezeugen.«
»Das und die Sache mit den abgeschnittenen Haaren. Sie ist auch nicht die Einzige, die Christian in jener Nacht gesehen hat. Da sind noch die beiden Beamten, die ihm die Nachricht überbracht haben. Danach hat er sich in seinem Zimmer eingeschlossen. Man müsste mehr wissen über Retancourts Satz:
Zim kritisiert Zucker.
Was kritisiert sie daran? Sie beauftragen Retancourt noch heute Abend damit.«
»Wo, heute Abend?«
»In Paris, Danglard. Sie fahren zurück, Sie informieren Retancourt und brechen lautlos wie ein Schatten wieder auf.«
»Nach Ordebec?«
»Nein.«
Danglard kippte seinen Kaffee-Calva, dachte einen Augenblick nach. Adamsberg machte sich an den beiden Telefonen zu schaffen und nahm die Batterien heraus.
»Sie
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