Die Nacht des Zorns - Roman
Flügelrauschen halten. Und schließlich ist sie eine Hellequin-Waffe, nicht wahr?«
»Das ja«, meinte Émeri voll Bitterkeit.
»Vergiss das nicht, Émeri. Es ist eine nicht nur technisch, sondern auch künstlerisch perfekte Wahl. Historisch und poetisch.«
»Auf Herbier hat er nicht gerade poetisch geschossen.«
»Sagen wir, er entwickelt sich. Er verfeinert.«
»Meinst du, dass der Mörder sich für Hellequin hält?«
»Keine Ahnung. Wir wissen nur, dass er ein ausgezeichneter Armbrustschütze ist. Haben wir doch zumindest etwas, womit wir anfangen können. Wir sollten uns in den Schützenvereinen umsehen, ihre Mitglieder unter die Lupe nehmen.«
»Warum hat er sich denn umgezogen?«, fragte Émeri mit Blick auf Mortembots Körper.
»Um den Gefängnisdreck abzustreifen«, sagte Veyrenc.
»Meine Zelle ist sauber. Und die Decken auch. Was meinst du, Adamsberg?«
»Ich frage mich gerade, warum ihr, du und Veyrenc, euch darüber aufregt, dass er sich umgezogen hat. Obwohl natürlich alles zählt«, sagte er, indem er müde auf die Fensterluke wies. »Selbst ein Rattenloch. Und vor allem ein Rattenloch.«
40
Adamsberg beteiligte sich bis sieben Uhr morgens an der Suche in den Wäldern, unterstützt von den fünf anderen Männern, die man aus dem Bett geholt hatte. Danglard sah erschöpft aus. Auch er, dachte Adamsberg, hatte nicht einschlafen können, weil er vergeblich einen ruhigen Ort gesucht hatte, wo er seine Gedanken ablegen konnte, so, wie man vor dem Wind eine Zuflucht sucht. Aber im Augenblick gab es für Danglard keine Zuflucht mehr. Sein überragender Verstand, den man keiner Niedertracht oder Dummheit verdächtigt hätte, lag in Trümmern zu seinen Füßen.
Beim ersten Tageslicht fand man sehr schnell den Ort, wo der Mörder gewartet hatte. Faucheur entdeckte ihn und rief die anderen. Auf ungewöhnliche Weise wurde klar, dass er sich, verborgen hinter einer weit ausladenden Eiche, auf einen kleinen Klapphocker gesetzt hatte, dessen Metallfüße sich in den Laubteppich gebohrt hatten.
»So was hab ich ja noch nie gesehen«, sagte Émeri geradezu entrüstet. »Ein Mörder, der auf seinen Komfort achtet. Der Typ schickt sich an, einen Menschen umzubringen, aber er will seine Beine dabei nicht ermüden.«
»Vielleicht ist er alt«, meinte Veyrenc. »Oder das Stehen fällt ihm schwer. Bevor Mortembot sich am Toilettenfenster zeigen würde, konnten Stunden vergehen.«
»So alt nun wieder auch nicht«, sagte Adamsberg. »Um die Sehne einer Armbrust zu spannen und den Rückstoß aufzufangen, muss einer schon ganz schön kräftig sein. Im Sitzen konnte er genauer zielen. Und man macht wenigerGeräusche, als wenn man stehend auf der Stelle tritt. Wie weit sind wir von der Zielscheibe entfernt?«
»Ich würde sagen, zweiundvierzig, dreiundvierzig Meter«, schätzte Estalère, der, wie Adamsberg ja immer behauptet hatte, gute Augen besaß.
»In der Kathedrale von Rouen«, sagte Danglard sehr leise, als wenn sein verlorener Glanz ihn fortan daran hinderte, normal zu sprechen, »bewahrt man das Herz von Richard Löwenherz auf, der durch einen Armbrustbolzen im Kampf getötet wurde.«
»Ach ja?«, sagte Émeri, den die Erwähnung ruhmreicher Ereignisse von Schlachtfeldern stets belebte.
»Ja. Bei der Belagerung von Châlus-Chabrol im März 1199 wurde er verletzt und starb elf Tage danach am Wundbrand. Bei ihm wenigstens kennt man den Mörder.«
»Wer?«, fragte Émeri.
»Pierre Basile, ein kleiner Adliger aus dem Limousin.«
»Verdammt, was geht uns das an?«, sagte Adamsberg, gereizt, dass Danglard sich selbst in seinem Zusammenbruch nicht enthalten konnte, seine Bildung herunterzuspulen.
»Es ist nur«, sagte Danglard mit dumpfer Stimme, »weil er eines der berühmtesten Opfer der Armbrust ist.«
»Und nach Richard nun dieser erbärmliche Michel Mortembot«, sagte Émeri. »Das nennt man einen gründlichen Niedergang«, schloss er kopfschüttelnd.
Die Männer liefen weiter durch den Wald auf der hoffnungslosen Suche nach Spuren des Mörders. Der Laubboden war vom Sommer ausgetrocknet und hielt keine Abdrücke fest. Eine Dreiviertelstunde später ließ Émeri einen Pfiff hören und versammelte die Männer wenige Meter vor dem entgegengesetzten Waldrand. Seine Jacke hatte er inzwischen zugeknöpft und erwartete sie, wieder sehr aufrecht, vor einem frisch ausgehobenen Stück Erdreich, das nur flüchtig mit losen Blättern überdeckt war.
»Die Armbrust«, sagte Veyrenc.
»Denke ich auch«,
Weitere Kostenlose Bücher