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Die Nacht des Zorns - Roman

Die Nacht des Zorns - Roman

Titel: Die Nacht des Zorns - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Adamsberg überrascht.
    »Hello« war eines der wenigen englischen Wörter, die er kannte, neben »yes« und »no«.
    »Sie haben lange gebraucht vom Bahnhof bis hierher«, bemerkte sie.
    »Ich habe Brombeeren gepflückt«, erklärte Adamsberg, wobei er sich fragte, wie eine so feste Stimme aus diesem schmalen Gehäuse kommen konnte. Schmal, aber stabil. »Sie wissen, wer ich bin?«
    »Nicht ganz. Lionel hat Sie aus dem Pariser Zug aussteigen und den Bus nehmen sehen. Bernard hat’s mir erzählt, eins kommt zum andern, und da sind Sie. Bei den heutigen Zeiten und bei allem, was so vor sich geht, kann das kaum was anderes sein als ein Polizist aus der Stadt. Bei uns ist dicke Luft. Wobei – Michel Herbier ist kein großer Verlust.«
    Die alte Frau schniefte geräuschvoll, fuhr sich mit dem Handrücken unter ihrer sehr großen Nase entlang, um einen Tropfen aufzufangen.
    »Und Sie haben auf mich gewartet?«
    »Aber nein, ich warte auf meinen Hund. Er ist verrückt nach der Hündin von dem Gehöft in Les Longes, gleich dahinten. Wenn ich ihn nicht von Zeit zu Zeit herbringe, damit er sie decken kann, dreht er mir durch. Renoux, der Bauer auf Les Longes, tobt, er sagt, er will nicht den ganzen Hof voll kleiner Bastarde haben. Aber was kann man dagegenmachen? Nichts. Und wegen meiner Sommergrippe habe ich ihn seit zehn Tagen nicht mehr herbringen können.«
    »Und haben Sie keine Angst, so allein auf diesem Weg?«
    »Weswegen?«
    »Wegen dem Wütenden Heer«, probierte Adamsberg.
    »Du liebe Güte«, die Frau schüttelte den Kopf. »Erstens ist nicht Nacht, und selbst wenn, ich sehe die sowieso nicht. Das ist nicht jedem gegeben.«
    Adamsberg bemerkte eine riesige Brombeere über dem Kopf der großen Frau, aber er wagte nicht, sie deshalb zu stören. Seltsam, dachte er, wie der Sammelinstinkt den Menschen ergreift, kaum dass er zwanzig Schritte in den Wald getan hat. Das hätte seinem Prähistorikerfreund Mathias gefallen. Denn wenn man’s recht bedenkt, ist nur das Pflücken so verführerisch. Denn die Brombeere an sich ist keine so unwiderstehliche Frucht.
    »Ich heiße Léone«, sagte die Frau und wischte sich einen neuerlichen Tropfen von ihrer großen Nase. »Aber man nennt mich Léo.«
    »Jean-Baptiste Adamsberg, Kommissar der Brigade criminelle von Paris. Habe mich gefreut, Sie kennengelernt zu haben«, fügte er höflich hinzu. »Ich werde dann mal weitergehen.«
    »Wenn es Herbier ist, den Sie suchen, den finden Sie dort drüben nicht. Er liegt zerstückelt in seinem schwarzen Blut, zwei Schritt von der Kapelle von Saint-Antoine entfernt.«
    »Tot?«
    »Schon lange. Nicht, dass mir darüber die Tränen kommen, aber schön ist es nicht anzusehen. Wer das getan hat, der war nicht gerade zimperlich, man erkennt nicht mal mehr den Kopf.«
    »Haben die Gendarmen ihn gefunden?«
    »Nein, junger Mann, ich war’s. Ich bringe öfter mal einen Blumenstrauß zur Kapelle, mir gefällt es nicht, dass der heiligeAntonius so alleingelassen wird. Der Heilige beschützt die Tiere. Haben Sie eins, ein Tier?«
    »Ich habe eine kranke Taube.«
    »Das trifft sich ja gut, sehen Sie. Wenn Sie bei der Kapelle sind, müssen Sie an sie denken. Der heilige Antonius hilft einem auch, verlorene Dinge wiederzufinden. Jetzt, wo ich alt werde, verliere ich schon mal was.«
    »Hat Sie das nicht schockiert? Dieser Leichnam da oben?«
    »Es ist nicht dasselbe, wenn man damit rechnet. Ich wusste ja, dass man ihn umgebracht hat.«
    »Wegen der Sache mit dem Heer?«
    »Wegen meines Alters, junger Mann. Hier kann kein Vogel ein Ei legen, ohne dass ich’s weiß oder spüre. Zum Beispiel, Sie können sicher sein, dass letzte Nacht der Fuchs sich ein Huhn vom Hof von Deveneux geholt hat. Dabei hat er nur noch drei Beine und einen Stummel von Schwanz.«
    »Der Bauer?«
    »Der Fuchs, ich hab seinen Kot gesehen. Aber glauben Sie mir, der kommt klar damit. Vergangenes Jahr hatte eine Kohlmeise sich ihn ausgeguckt. Hab so was zum ersten Mal gesehen. Sie lebte auf seinem Rücken, und er hat sie nie gefressen. Sie und keine andere, wohlgemerkt. Es gibt so viele kleine Dinge in der Welt, haben Sie das schon mal bemerkt? Und da jedes kleine Ding sich nie in der gleichen Form wiederholt und auch noch andere Dinge in Schwingung versetzt, geht das immer so weiter und weiter. Wenn Herbier noch lebte, hätte er den Fuchs eines Tages getötet und damit auch die Kohlmeise. Da hätte es bei den Gemeindewahlen wieder mächtigen Stunk gegeben. Aber ob die Meise in

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