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Die Nacht des Zorns - Roman

Die Nacht des Zorns - Roman

Titel: Die Nacht des Zorns - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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gleich hinter der Grünanlage. Lassen Sie Ihre Schale stehen, ich räume ab.«
    Adamsberg lief einen knappen Kilometer querfeldein, dann präsentierte er sich am Empfang der Gendarmerie, die seltsamerweise in einem kräftigen Gelb frisch gestrichen war, als wäre sie ein Ferienhaus.
    »Kommissar Jean-Baptiste Adamsberg«, meldete er sich bei einem untersetzten Brigadier. »Der Capitaine erwartet mich.«
    »So ist es«, erwiderte der Mann und warf ihm einen etwas beklommenen Blick zu, den Blick eines Mannes, der nicht gern an seiner Stelle gewesen wäre. »Sie gehen den Flur hinunter, es ist das Büro ganz am Ende. Die Tür steht offen.«
    Adamsberg blieb auf der Schwelle stehen und beobachtete ein paar Sekunden lang Capitaine Émeri, wie er in seinem Büro auf und ab ging, nervös, angespannt, aber sehr elegant in einer enganliegenden Uniform. Ein gutaussehender Mann Anfang vierzig, ebenmäßiges Gesicht, volles, noch immer blondes Haar, dessen Militärhemd mit den Rangabzeichen sich über einem flachen Bauch spannte.
    »Was soll das?«, fragte Émeri, indem er sich zu Adamsberg umwandte. »Wer hat Ihnen gesagt, dass Sie hier hereinkommen können?«
    »Sie, Capitaine. Sie haben mich heute Morgen schon zu früher Stunde herbestellt.«
    »Adamsberg?«, sagte Émeri und musterte mit raschemBlick den Aufzug des Kommissars, der, abgesehen von seiner saloppen Kleidung, sich außerdem weder rasiert noch gekämmt hatte.
    »Tut mir leid wegen des Bartes«, sagte Adamsberg, während er ihm die Hand gab, »ich hatte nicht vor, heute Nacht in Ordebec zu bleiben.«
    »Setzen Sie sich, Kommissar«, sagte Émeri und sah noch immer gebannt auf Adamsberg.
    Es gelang ihm nicht, diesen berühmten, im Guten wie im Schlechten berühmten Namen mit einem so kleinen und so schlicht daherkommenden Menschen in Übereinstimmung zu bringen, der ihm, angefangen bei seinem dunklen Teint bis zu seiner schwarzen Kleidung, irgendwie aufgelöst, nicht klassifizierbar oder zumindest nicht konform erschien. Er suchte seinen Blick, ohne ihn wirklich zu finden, und blieb an dem Lächeln hängen, das ebenso angenehm wie fern war. Die offensive Ansprache, die er sich vorgenommen hatte, war in seiner Verblüffung zum Teil untergegangen, als hätte sie sich am Widerstand nicht einer Mauer, sondern an der gänzlichen Abwesenheit eines Widerstands gebrochen. Und er wusste nicht, wie er einen nicht vorhandenen Widerstand angreifen oder auch nur zu fassen kriegen sollte. Adamsberg war es, der das Gespräch eröffnete.
    »Léone hat mich über Ihr Missfallen unterrichtet, Capitaine«, sagte er, seine Worte bewusst wählend. »Aber es liegt ein Missverständnis vor. Wir hatten gestern 36 Grad in Paris, und ich hatte gerade einen alten Mann überführt, der seine Frau mit Brotkrume umgebracht hat.«
    »Mit Brotkrume?«
    »Indem er ihr zwei große Batzen gepresster Krume in den Hals gestopft hat. Danach konnte ich dem verführerischen Gedanken, in frischer Luft über einen Grimweld zu laufen, nicht widerstehen. Ich nehme an, Sie verstehen, was ich meine.«
    »Vielleicht.«
    »Dabei habe ich viele Brombeeren gepflückt und gegessen« – und Adamsberg sah, dass die schwarzen Spuren der Früchte noch nicht von seinen Handflächen verschwunden waren. »Ich hatte nicht geahnt, dass ich Léone begegnen würde, sie wartete dort auf dem Weg auf ihren Hund. Und auch sie hatte nicht geahnt, dass sie bei der Kapelle auf die Leiche von Herbier stoßen würde. Das Vorrecht, als Erster am Tatort zu sein, stand Ihnen zu, darum habe ich mir den Schauplatz des Verbrechens nicht angesehen. Es fuhr kein Zug mehr, sie bot mir ihre Gastfreundschaft an. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich eine echte Havanna rauchen würde, bei einem Calvados grand cru vor dem Kamin, aber genau das haben wir getan. Eine sehr anständige Frau, wie sie selbst sagen würde, aber weit mehr als das.«
    »Wissen Sie, warum diese sehr anständige Frau echte kubanische Zigarren raucht?«, fragte Émeri mit einem ersten leisen Lächeln. »Wissen Sie, wer sie ist?«
    »Sie hat mir ihren Namen nicht gesagt.«
    »Das wundert mich nicht. Léo, das ist Léone Marie de Valleray, Gräfin von Ordebec. Einen Kaffee, Kommissar?«
    »Ich bitte darum.«
     
    Léo, Gräfin von Ordebec. Die einen alten, verfallenen Hof bewohnte, von seiner Bewirtschaftung als Herberge gelebt hatte. Léo, die ihre Suppe mit vollen Löffeln einfuhr und Tabakkrümel spuckte. Capitaine Émeri kam mit zwei Tassen zurück, und diesmal

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