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Die Nacht des Zorns - Roman

Die Nacht des Zorns - Roman

Titel: Die Nacht des Zorns - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Absichten nahezu in sich zusammengefallen waren, war alles Förmliche aus seiner Haltung und seinem Gesicht gewichen. Die Veränderung war frappierend, Adamsberg musste wieder an den Löwenzahn denken. Wenn sich die Blüte am Abend schließt, ein kümmerliches und nichtssagendes gelbliches Faserbündel, und wenn sie sich bei Tage öffnet, üppig und verlockend. Doch im Unterschied zur Mutter Vendermot hatte der robuste Capitaine nichts von einer zarten Blume. Adamsberg suchte noch immer nach dem Namen des Samenkorns mit dem Fallschirm und überhörte den Anfang von Émeris Antwort.
    »… ist schon seine Flinte, eine Darne mit abgesägtem Lauf. Der brutale Kerl liebte Schrotflinten, um die Muttertiere und ihre Jungen auf ein Mal zu treffen. Dem Einschuss nach zu urteilen, der aus großer Nähe erfolgte, ist es gar nicht ausgeschlossen, dass er sie, den Lauf auf Höhe der Stirn, vor sich gehalten und abgedrückt hat.«
    »Und warum?«
    »Aus den genannten Gründen. Weil das Heer erschienen ist. Man kann sich die Verkettung der Dinge durchaus vorstellen. Herbier erfährt von der Weissagung. Er hat eine schwarze Seele, und das weiß er. Er gerät in Panik und schwenkt komplett um. Er räumt selber seine Gefrierschränke aus, wie um alle seine Jagdfrevel zu verleugnen,und tötet sich. Denn es heißt, wer sich selber richtet, gerät nicht in die Hölle von Hellequins Armee.«
    »Wieso sagen Sie, er hat den Lauf auf Höhe der Stirn gehalten. Hat er die Stirn nicht berührt?«
    »Nein. Die Distanz betrug mindestens zehn Zentimeter.«
    »Es wäre aber logischer, dass er den Lauf auf seiner Stirn aufgesetzt hätte.«
    »Nicht unbedingt. Es kommt drauf an, was er kurz zuvor sehen wollte. Die Mündung des auf ihn gerichteten Gewehrs. Wir haben vorerst nur seine Fingerabdrücke auf dem Schaft.«
    »Folglich könnte man auch annehmen, dass ein Typ Linas Weissagung benutzt hat, um Herbier zu liquidieren und es wie einen Selbstmord aussehen zu lassen.«
    »Aber man kann sich nicht vorstellen, dass dieser Typ so weit geht, auch noch die Gefrierschränke auszuräumen. Hier in der Gegend gibt’s mehr Jäger als Tierfreunde. Schon gar bei den enormen Schäden, die die Wildschweine anrichten. Nein, Adamsberg, diese Geste ist eine Absage an seine Verbrechen, eine Sühne.«
    »Und sein Mofa? Warum sollte er es unter dem Haselnussgestrüpp versteckt haben?«
    »Er hat es nicht versteckt. Er hat’s nur gerade so in den Busch geworfen, wie um es unterzustellen. Ein Reflex, nehme ich an.«
    »Und warum sollte er bis zur Kapelle gefahren sein, um sich umzubringen?«
    »Genau deswegen. In der Legende findet man Ergriffene häufig ganz in der Nähe verlassener Kultstätten.«
    »Ja«, sagte Adamsberg.
    »Damit nämlich sind sie an Orten, auf denen ein teuflischer Bann liegt, folglich in Hellequins Reich. Dort tötet sich Herbier, er kommt seinem Schicksal zuvor, und dank seiner Reue entgeht er der Strafe.«
    Adamsberg saß nun schon zu lange auf diesem Stuhl, die Ungeduld kribbelte ihm in den Beinen.
    »Kann ich in Ihrem Büro ein bisschen auf und ab gehen? Ich halte es im Sitzen nicht sehr lange aus.«
    Ein Ausdruck ehrlicher Sympathie entspannte das Gesicht des Capitaine nun vollends.
    »Ich auch nicht«, sagte er mit der lebhaften Befriedigung eines Menschen, der das eigene Unbehagen bei einem anderen wiedertrifft. »Da verknotet sich am Ende etwas in meinem Bauch, da wird kugelweise nervöse Elektrizität freigesetzt. Ein ganzer Haufen kleiner Kugeln, die mir über den Magen rollen. Es heißt, mein Vorfahr Davout, Marschall des Kaiserreichs, sei ein nervöser Typ gewesen. Ich muss ein bis zwei Stunden am Tag herumrennen, um diese Batterie zu entladen. Was meinen Sie, wollen wir beim Reden durch die Straßen laufen? Ist hübsch hier, Sie werden sehen.«
    Der Capitaine führte seinen Kollegen durch schmale Gassen zwischen alten Lehmmauern und niedrigen Häusern mit morschem Gebälk, an verlassenen Scheunen und krummgebogenen Apfelbäumen vorbei.
    »Léo ist da anderer Ansicht«, sagte Adamsberg. »Sie zweifelt nicht daran, dass Herbier umgebracht wurde.«
    »Und, erklärt sie es?«
    Adamsberg zuckte die Schultern.
    »Nein. Sie scheint es zu wissen, weil sie es weiß, basta.«
    »Das ist das Problem mit ihr. Sie ist so schlau, dass sie mit den Jahren zu der Ansicht gekommen ist, dass sie immer recht hat. Wenn man ihr den Kopf abschlagen würde, würde Ordebec einen Gutteil seiner Intelligenz verlieren, das stimmt. Aber je älter sie wird,

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