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Die Nacht des Zorns - Roman

Die Nacht des Zorns - Roman

Titel: Die Nacht des Zorns - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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miteinander reden konnte. Ihre Stimme am Telefon war herzlich gewesen, ohne jede Angst, ohne Verlegenheit. Indem er sich auf eine Kuh konzentrierte, versuchte Adamsberg den begehrlichen Gedanken an Linas Busen zu verdrängen, über den Brigadier Blériot in so spontane Begeisterung ausgebrochen war. Und ebenso die Vorstellung, falls ihre Sexualität wirklich so freizügig war, wie Émeri angedeutet hatte, dass er vielleicht mit ihr schlafen könnte. Diese ausschließlich männlich besetzte Ordebequer Truppe hatte für ihn etwas Trostloses. Aber niemand würde es sonderlich schätzen, wenn er mit einer Frau schliefe, die ganz oben auf der schwarzen Liste der Verdächtigen stand. Sein Telefon Nummer 2 meldete eine Nachricht, er drehte sich in den Schatten, um sie lesen zu können. Retancourt, endlich. Der Gedanke an Retancourts einsamen Tauchgangin die Untiefen des Clermont-Brasseur-Clans hatte ihn am Abend zuvor noch lange beschäftigt, bevor er in seiner Matratzenkuhle eingeschlafen war. Es gab dermaßen viele Haie in diesen Meerestiefen. Retancourt war vor Zeiten tatsächlich getaucht, sie hatte die raue Haut einiger dieser Tiere furchtlos berührt. Aber die Haie unter den Menschen waren weit gefährlicher als die Haifische.
    Abend des Verbrechens: Erlöser 1 + Erl 2 + Vater waren auf Gala der FIA, Verband Stahlindustrie. Viel getrunken, noch zu recherchieren. Mercedes wurde von Erl 2 gefahren, hat auch Polizei geruf. Erl 1 schon vorher mit eigenem Wagen nach Hause gefahren. Erst später informiert. Anzüge Erl 1 und 2 nicht in der Reinigung. Habe sie untersucht: einwandfrei, kein Benzingeruch. Ein Anzug Erlöser 1 chem. gereinigt, aber nicht der von der Gala. Angehängte Fotos: Anzüge, getragen auf Gala + Fotos der beiden Brüder. Sehr unfreundlich ggüber Personal.
    Adamsberg öffnete die Fotos, ein dunkelblauer Anzug mit feinen Streifen, den Christian Erlöser 1 getragen hatte, und das Jackett von Christophe Erlöser 2, im Marine-Look eines Jachtbesitzers. Der er nebenbei sicher auch war. Mitunter haben Haifische sogar Jachten, auf denen sie sich von ihren langen Streifzügen im Meer erholen, nachdem sie ein oder zwei Kalmare verschlungen haben. Es folgte ein Halbprofil von Christian, sehr elegant, diesmal mit kurzen Haaren, und ein Foto von seinem Bruder, fett und ohne jeden Charme.
     
    Maître Deschamps verließ seine Kanzlei vor seiner Mitarbeiterin und sah aufmerksam nach rechts und links, bevor er die winzige Straße überquerte und geradewegs auf Adamsberg zusteuerte, mit eiligem und gestelztem Schritt, passend zu der Stimme, die er heute Morgen am Telefon gehört hatte.
    »Kommissar Adamsberg«, sagte Deschamps, indem er ihm die Hand gab, »Sie wollen uns also helfen. Das beruhigt mich, ja, sehr. Ich mache mir Sorgen um Caroline, sehr.«
    »Caroline?«
    »Lina, wenn Ihnen das lieber ist. In der Kanzlei ist sie Caroline.«
    »Und Lina«, fragte Adamsberg, »ist sie auch beunruhigt?«
    »Wenn ja, dann will sie es nicht zeigen. Sicher, bei dieser ganzen Geschichte ist ihr nicht wohl zumute, aber ich glaube nicht, dass sie die Konsequenzen voll ermisst, die das alles für sie und ihre Familie haben kann. Die Ächtung durch die Stadt, mögliche Racheaktionen oder Gott weiß, was sonst noch. Es ist wahrlich besorgniserregend, sehr. Sie haben gestern offenbar das Wunder vollbracht, Léone zum Reden zu bringen.«
    »Ja.«
    »Würde es Ihnen was ausmachen, mir anzuvertrauen, was sie gesagt hat?«
    »Nein, Maître. ›Hello‹, ›Flem‹ und ›Zucker‹.«
    »Bringt Sie das irgendwie weiter?«
    »In keiner Weise.«
    Es schien Adamsberg, dass der kleine Deschamps erleichtert war, vielleicht weil Léo nicht Linas Namen genannt hatte.
    »Glauben Sie, dass sie noch einmal reden wird?«
    »Der Arzt hat sie aufgegeben. Ist das Lina?«, fragte Adamsberg, als er sah, wie die Tür der Kanzlei aufging.
    »Ja. Bedrängen Sie sie bitte nicht. Ihr Leben ist hart, wissen Sie, eineinhalb Gehälter, um fünf Mäuler zu stopfen, dazu die kleine Pension der Mutter. Sie schlagen sich wirklich kümmerlich durch, sehr. Pardon«, korrigierte er sich sofort, »das wollte ich Ihnen eigentlich gar nicht sagen. Und bitte, ich wollte Ihnen damit auch gar nichts suggerieren«, fügte der Maître hinzu, bevor er sich eilig verabschiedete, so als wäre er auf der Flucht.
    Adamsberg drückte Lina die Hand.
    »Danke, dass Sie bereit waren, mich zu treffen«, sagte er professionell.
    Lina war bei weitem kein vollkommenes Geschöpf. Siehatte

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