Die Nacht des Zorns - Roman
eine zu große Brust für zu schlanke Beine, ein wenig Bauch, einen leichten Rundrücken, etwas vorstehende Zähne. Doch der Brigadier hatte recht, man hatte große Lust, diese Brust zu verschlingen und alles Übrige gleich mit, ihre straffe Haut, ihre runden Arme, ihr klares, etwas breites Gesicht mit den sehr normannischen hohen Wangenknochen, die eine leichte Röte überzog, das alles mit Sommersprossen übersät, die sie wie mit goldenen Pünktchen schmückten.
»Die
Blaue Wildsau
kenne ich gar nicht«, meinte sie.
»Das ist gegenüber dem Blumenmarkt, zwei Schritte von hier. Es ist nicht sehr teuer und doch köstlich.«
»Gegenüber dem Markt, das ist die
Rasende Wildsau
.«
»Genau, rasend.«
»Aber nicht blau.«
»Nein, nicht blau.«
Während er so neben ihr herging durch die Gässchen, wurde Adamsberg bewusst, dass seine Lust, sie zu fressen, noch größer war als sein Verlangen, mit ihr zu schlafen. Diese Frau machte ihm maßlosen Appetit, sie erinnerte ihn plötzlich an das riesige Stück Gugelhupf mit Honig, butterweich und noch ofenwarm, das er als Kind bei einer Tante im Elsass verschlungen hatte. Er wählte einen Tisch am Fenster, wobei er sich fragte, wie er eine korrekte Befragung durchführen sollte mit einer warmen Scheibe Gugelhupf mit Honig von genau der Farbe von Linas Haar, das in mächtigen Locken auf ihre Schultern fiel. Diese Schultern sah er im Übrigen gar nicht recht, denn Lina trug einen langen blauen Seidenschal, seltsame Idee mitten im Sommer. Adamsberg hatte sich keinen ersten Satz zurechtgelegt, er wollte seine Gesprächspartnerin erst sehen und sich dann etwas einfallen lassen. Und jetzt, wo Lina strahlend in all ihrem blonden Flaum vor ihm saß, gelang es ihm nicht mehr, sie mit dem schwarzen Gespenst des Wütenden Heers in Verbindung zu bringen, mit der Person, die das Entsetzlichesieht und es weitergibt. Die sie aber ja war. Sie gaben ihre Bestellung auf und warteten einen Augenblick schweigend und kleine Stückchen Brot kauend. Adamsberg sah zu ihr hin. Ihr Gesicht war immer noch klar und aufmerksam, doch sie unternahm keinerlei Anstrengung, ihm entgegenzukommen. Er war der Bulle, sie hatte in Ordebec ein Gewitter ausgelöst, er verdächtigte sie, sie wusste, dass man sie für verrückt hielt – das waren die schlichten Gegebenheiten der Situation. Er wechselte die Tischseite, so dass sein Blick nun auf den hölzernen Tresen fiel.
»Es wird wohl bald regnen«, sagte er schließlich.
»Ja, da zieht von Westen was auf. Vielleicht kommt es in der Nacht herunter.«
»Oder noch heute Abend. Alles ging von Ihnen aus, Mademoiselle Vendermot.«
»Sagen Sie Lina.«
»Alles ging von Ihnen aus, Lina. Ich meine nicht den Regen, sondern den Sturm, derüber Ordebec tobt. Und dieser Sturm, kein Mensch weiß, bis wohin er gehen wird, wie viele Opfer er fordern wird, ob er drehen und auf Sie zukommen wird.«
»Nichts ist von mir ausgegangen«, sagte Lina und zupfte an ihrem Schal. »Alles ging von der Mesnie Hellequin aus. Sie ist durchgezogen, und ich habe sie gesehen. Was hätte ich Ihrer Meinung nach dagegen tun sollen? Es waren vier Ergriffene darunter, also wird es vier Tote geben.«
»Aber Sie waren es, die darüber geredet hat.«
»Wer das Heer sieht, ist verpflichtet, es zu sagen, er ist dazu verpflichtet. Das können Sie nicht verstehen. Woher kommen Sie?«
»Aus dem Béarn.«
»Also nein, dann können Sie das wirklich nicht. Die Mesnie ist eine Armee der flachen Weiten des Nordens. Und diejenigen, die man darin gesehen hat, können versuchen, sich zu retten.«
»Die Ergriffenen?«
»Ja. Und eben darum muss man reden. Es ist selten passiert, dass ein Ergriffener sich hat befreien können, aber vorgekommen ist es. Glayeux und Mortembot verdienen es nicht, zu leben, aber noch haben sie eine Chance, da herauszukommen. Diese Chance steht ihnen zu.«
»Haben Sie einen persönlichen Grund, sie zu hassen?«
Lina wartete mit ihrer Antwort, bis die Teller aufgetragen waren. Sie hatte ganz offensichtlich Hunger oder doch Lust zu essen, und warf einen geradezu leidenschaftlichen Blick auf die Speisen. Wobei es Adamsberg logisch erschien, dass eine so appetitliche Frau auch mit rechtschaffenem Appetit gesegnet war.
»Einen persönlichen, nein«, sagte sie und widmete sich nun sofort ihrem Gericht. »Man weiß, dass sie alle beide Mörder sind. Man sieht zu, dass man nichts mit ihnen zu tun hat, und es hat mich nicht verwundert, sie in den Händen der Mesnie zu sehen.«
»Wie
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