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Die Nacht Hat Viele Augen -1-

Die Nacht Hat Viele Augen -1-

Titel: Die Nacht Hat Viele Augen -1- Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shannon Mckenna
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auch Victor geliebt hatte. Aber sie schämte sich nicht dafür. Wenn sie irgendetwas in den vergangenen Wochen gelernt hatte, dann, dass man sich vieler Dinge in seinem Leben schämen konnte – jemanden zu lieben, gehörte allerdings nicht dazu. Wenn es auch vielleicht unklug war.
    Sie hatte jetzt zwei Väter. Beide mit Makeln, beide von vornherein dem Untergang geweiht, aber beide hatten ihr unbezahlbare Dinge mitgegeben. Sie sah hinunter in die kalten Tiefen, die Peter verschlungen hatten, und schweigend bat sie das Wasser – mit all seiner reinigenden Kraft, Neues zu erschaffen –, auch ihren anderen Vater in Empfang zu nehmen.
    Der Inhalt der Urne war gröber, als sie erwartet hatte, wie Sand. Sie nahm eine Handvoll und streute sie übers Wasser.
    Es war in Ordnung. Es war angemessen. Peter war einverstanden. Das ganze Universum war einverstanden. Sie kippte die Urne aus und schüttelte sie, bis sie leer war. Die Asche versank. Kleine Wellen bildeten sich. Sie stellte die Urne ab und wandte sich an Charlie.
    »Fahren wir nach Hause.«
    Sie hielt ihr Gesicht in den Wind, als Charlie den Motor startete. Das Boot hüpfte und sprang über die Wellen, und sie spürte jeden Stoß in Brust und Rücken, aber das war eine willkommene Ablenkung. So war es leichter, nicht an Seth zu denken. Leichter, den dunklen, schmerzhaften Knoten in ihrer Brust zu ignorieren.
    Ich werde das durchstehen, redete sie sich ein. Schließlich war nicht sie diejenige, die der Liebe den Rücken gekehrt hatte. Irgendwann würde der Schmerz vergehen, aber innerlich würde sie verfaulen. Und dieser Gedanke tröstete sie überhaupt nicht.
    Der Wind trieb ihr die Tränen in die Augen. Sie kniff die Lider zusammen und wischte sie entschieden fort.
    »Besuch«, bemerkte Charlie in seiner lakonischen Art.
    Sie starrte zu dem Boot hinüber, das am Steg lag und leicht auf den Wellen schaukelte, und ihre Nackenhaare stellten sich auf. Ihre Brust zog sich zusammen, sie atmete flach und mühsam. Schmetterlinge flatterten wie verrückt durch ihren Bauch. Es konnte einfach ein ähnliches Boot sein. Ein Nachbar. Jemand, der Fisch verkaufte. Sie sollte sich gar nicht erst freuen.
    Es war Seth – eine dunkle, bewegungslose Gestalt vor den knorrigen Baumwurzeln am Ufer. Sein Gesicht wirkte schmaler, als sie es in Erinnerung hatte. Seine grimmigen dunklen Augen suchten ihren Blick über das Wasser hinweg. Sie zogen an ihr wie das Seil in dem Zauberbann, von dem sie als Kind geträumt hatte. Der Bann hatte nie funktioniert – der Zauber, der die Liebe festhalten sollte.
    Keiner von beiden begrüßte den anderen. Charlie vertäute das Boot. Er musterte Seth einmal unfreundlich von Kopf bis Fuß und warf Raine einen fragenden Blick zu.
    »Es ist okay, Charlie. Danke«, sagte sie.
    Kopfschüttelnd stapfte Charlie davon.
    »Wie ich sehe, hat Victors Personal dich adoptiert«, bemerkte Seth.
    Sie konnte seinen Tonfall nicht einordnen, also wappnete sie sich für alles. »Sie haben sich gut um mich gekümmert«, sagte sie. »Es war eine anstrengende Woche.«
    »Bist du okay?«
    »Bald. Noch bin ich ein bisschen steif, aber es wird jeden Tag besser.«
    »Ich meinte nicht körperlich.«
    Sie riss sich von seinem durchdringenden Blick los. »Wie steht es mit dir? Heilt deine Wunde gut?«
    Er runzelte die Stirn. »Wechsle nicht das Thema.«
    »Wieso nicht?«, fragte sie. »Es gibt nichts mehr zu sagen.«
    Seth schob die Hände in die Taschen. »Wirklich nicht?«
    »Sag du es mir, Seth.« Sie versuchte es mit seinem Trick, diesem Blick, der alles erfasste, aber nichts verriet.
    Dann geschah etwas, das sie schockierte. Er wich ihrem Blick aus und sah zu Boden. Er trat von einem Fuß auf den anderen. Er schluckte sichtbar.
    Er war nervös. Sie hatte Seth Mackey nervös gemacht.
    »Ich denke …« Düster starrte er an ihr vorbei aufs Wasser hinaus. »Es gibt eine Menge zu sagen. So viel, dass ich … hm … vielleicht den Rest meines Lebens dafür brauche.«
    Raine hätte vor Freude am liebsten laut geschrien, aber sie behielt ihre Miene unter Kontrolle, als würde sie nicht mit ihrem ganzen Herzen dem entgegenfiebern, was er in den nächsten Sekunden sagen würde.
    »Du hast mir erzählt, du hättest keine romantische Seite.« Erstaunlicherweise klang ihre Stimme kühl und sicher.
    Er sah sie an. »Das war, bevor ich dich kennengelernt habe.«
    »Oh«, flüsterte sie.
    Er lächelte vorsichtig. »Eine Piratenkönigin zu treffen, kann die romantische Seite eines Mannes

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